G20
Die ausgewählten Bözberggemeinden
für das Endlager Atommüll


Heiner Keller
Doracher 8
CH-5079 Zeihen


 
Zu Besuch im Felslabor Mont Terri in St-Ursanne

Heiner Keller, 23. November 2022
 
Von Industriedenkmälern, Mülldeponien, Regionalentwicklung, Opalinuston und Atommüll
 

Packungsbeilage zur Nagra-Jahrhundert-Propaganda

Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) hat im September 2022 ihre Standortwahl für den Schweizer Atommüll bekannt gegeben. Die heisse Verpackungsanlage bleibt Würenlingen AG und das Kombi-Tiefenlager kommt nach Stadel ZH. Viele Menschen aus der Wirtschaftsregion Zürich wurden vom Entscheid der Nagra überrascht. Fragen über das Planungs-Vorgehen, Probleme des Atommülls und mögliche Auswirkungen der neuen Atomanlagen trafen die Menschen abrupt und unvorbereitet. Den Wenigsten sind der Opalinuston und die zugänglichen Stollen unter dem Mont Terri im Kanton Jura bekannt. Im Rahmen der Propaganda-Offensive bietet die Kommunikationsabteilung auf der Homepage https://www.nagra.ch künftigen Anwohnern der Tiefenlager-Anlagen eintägige Ausflüge ins Felslabor Mont Terri an. 

Gratisbusfahrten und Führungen der Nagra sollen reisewilligen Personen helfen, diese Bildungs- und Erlebnislücke zu füllen. Wie früher bei den beliebten Werbefahrten für Rheumadecken, können sich Interessierte einen unbeschwerten
Ausflug gönnen. Die Nagra hat im Sinne ihrer Auftraggeber alles im Griff. Die aktuelle Propaganda nimmt die bekannte Tradition auf: Jede formulierte Frage und jeder verwendete Begriff enthält schon den Kern der zu vermittelnden Antworts-
Botschaft: Ist ein Tiefenlager wirklich die sicherste Lösung? Und warum ist das Zürcher Unterland die geeignete Standortwahl? Finden Sie Ihre Antworten im Felslabor Mont Terri. Teilnehmende Menschen werden nach der Werbefahrt kommunikativ als informierter Teil aus der schweigenden Masse der angeblich anonym-zustimmenden Gesellschaft dargestellt. Schauen Sie sich dazu die entsprechenden Jahresberichte und Prospekte der Nagra an. Wenn Sie mit der Nagra das Felslabor Mont Terri besuchen, sollten Sie sich darüber im Klaren sein, in welchen Film Sie sich begeben. Was heisst Felslabor? Welche Fakten und Zusammenhänge werden nicht vermittelt?

Medikamente, die Ihnen der Arzt verschreibt, schlucken Sie in der Regel, ohne die Packungsbeilage zu lesen. Sie haben Vertrauen und die Hoffnung, dass Sie Ihnen  Angst und Scherzen nehmen und die Krankheit mindern. Deshalb gehen Sie zum Arzt und machen, was er sagt. Die Packungsbeilagen in den Medikamentenschachteln dienen nicht Ihnen oder Ihrer Information. Sie sind die Versicherung für Medikamentenhersteller gegen erfolgreiche Haftungsklagen nach Us-amerikanischem Vorbild. Unvermeidbare Nebenwirkungen und Kollateralschäden an Ihrer Gesundheit werden ausbedungen. Die exorbitanten Gewinne der Pharmabranche lassen sich nur erzielen, wenn Haftungsprozesse vermieden werden können. Dazu haben gewiefte Juristen ein Arsenal von Verfahren, bis hin zu den geheimen Verkaufsverträgen für die Corona-Impfstoffe, geschaffen: Trotz nur provisorischer Zulassung mangels unvollständiger Tests und Erfahrungen, übernehmen die Steuerpflichtigen der kaufenden Nationen die Kosten für alle künftig-möglichen Impfschäden. Riesige Gewinne können Unternehmen offensichtlich nur machen, wenn sie die entsprechenden Risiken und finanziellen Rettungsschirme der Öffentlichkeit überwälzen können.
Die Nagra bietet weder für ihre Besuchsfahrten ins Felslabor Mont Terri noch für die Risiken, denen sie die Bevölkerung mit ihrem Jahrhundertprojekt aussetzt, eine Packungsbeilage (https://www.g20.ch). Sie übernimmt keinerlei Haftung für unvollständige Informationen oder gar Schäden an Leib, Leben und Vermögen von Anwohnern. Deshalb kann sie entspannt Busfahrten für Jedermann anbieten. Zur Information: Das Felslabor Mont Terri (https://www.mont-terri.ch) können sie auch ohne die Nagra besuchen. Es ist halt nicht so bequem, aber viel interessanter. Oder machen Sie beides und vergleichen Sie.

Die Eidgenossenschaft fördert die friedliche Nutzung der Atomkraft mit allerlei Privilegien (z.B. Forschung). Von den Atommüllproduzenten, verlangt sie sehr bescheidene Betriebsversicherungen (https://www.wendezeit.ch). Das Bundesamt für Zivilschutz schätzt, dass eine Katastrophe in einem Schweizer Atomkraftwerk das Potenzial für einen materiellen Schaden von 4‘200 Milliarden Franken enthält. 99.9 Prozent davon müssten vom Staat und den Steuerzahlern übernommen werden - sofern es solche dann überhaupt noch gibt. Bei der Entsorgung des Atommülls ist es ähnlich: Die Nagra ist immer nur für die nächste Etappe der Planung und des Zeitplans zuständig. Im Moment ist das die Ausarbeitung und Einreichung der Rahmenbewilligungsgesuche bis 2024 (https://www.nagra.ch; Entsorgungsprogramm Nagra 2021, NTB 21-01). Welche Organisationen gegebenenfalls für die Einlagerung der hochradioaktiven Abfälle (von 2060 bis 2075), den Verschluss des Tiefenlagers (2125) und die Langzeitüberwachung (von 2125 bis 2140) zuständig ist, wird sich in der Kaskade der Bewilligungen im Verlaufe der Zeit weisen. Ab 2140 strahlt dann der eingelagerte Atommüll ohne Aufsicht und kaum mehr kontrollierbar bis zu seinem natürlichen Zerfallsende ungefähr im Jahre 1‘002‘140 nach Christus im Kombi-Tiefenlager von Stadel ZH vor sich hin.
Die Region mit Opalinuston zwischen französischem Jura und München
 
Vor rund 175 Millionen Jahren legten sich in einem tropischen Meer südlich der heutigen Sahara feine Ablagerungen (Sedimente) auf den Meeresgrund. Sie schlossen Reste von damals lebenden Meerestieren (Fossilien) ein. Die Drift (Wanderung) der Kontinente verschob sowohl Landmassen als auch die sie umgebenden seichten Meere (Kontinentalschelfs) nach Norden. Klima, Wasserströmungen und Ablagerungen änderten sich im Verlaufe ihrer Reise. Jüngere Gesteinsschichten überlagerten die Schicht, die die Geologen später als  Opalinuston benannten. Das Schichtpaket mit dem eingeschlossenen Opalinuston findet sich heute in der Region des französischen Juras, der Nordschweiz bis Strassburg und reicht bis Stuttgart und München. Durch Gebirgsbildung (Alpenfaltung, Jurafaltung) wurde in jüngerer Zeit die Landschaft geformt (Alpen, Jura, Randen, Schwäbische Alb). Gesteinsschichten wurden verschoben und verformt. Sie zerbrachen, gelangten an die Oberfläche, erodierten an Berghängen und wurden in Tälern abgeschwemmt. Der Opalinuston liegt null bis dreitausend Meter tief unter der heutigen Erdoberfläche.

Weder die Alpenfaltung (Kontinentaldrift) noch der Einbruch des Rheintalgrabens sind angeschlossen. Die Opalinuston-Schicht liegt deshalb in der Zone mit erhöhter Erdbeben-Wahrscheinlichkeit: Grössere Erdbeben sind selten, kleinere hingegen sind regelmässig zu spüren. Tonschichten mit vergleichbaren Eigenschaften und grösserer Mächtigkeit gibt es auch ausserhalb des tektonisch aktiven Alpenbogens. Das in Bauplanung befindliche französische Tiefenlager für Atommüll in Bure (https://international.andra.fr) beispielsweise, befindet sich in erdbebenmässig ruhigen und mächtigeren Tonschichten des Pariser Beckens.

Wenn Opalinuston mit Wasser in Kontakt kommt, quellen die Tonmineralien auf. Fehlt der Druck des Erdinneren, dehnt sich der Ton aus. An der Oberfläche von Berghängen bildet der Opalinuston charakteristische Geländeformen: Fliessende Buckellandschaften (z.B. Staffelegg, Böttstein, Nassberg) oder Wälder mit besoffenen (krummstehenden) Bäumen. Die Flächen sind eher nass und nur bedingt für eine produktive Land- und Forstwirtschaft geeignet.

Für die Nutzung von Opalinuston interessierten sich Ziegeleien und Zementfabriken. Alte Gruben und Steinbrüche (z.B. Region Staffelegg, Frick Ziegeleien, Tongrube Böttstein, JCF Wildegg-Möriken, Tongrube Kölliken) sind Zeugen für den Abbau von Ton als Zusatzstoff für Ziegel und Zement. Etliche Steinbrüche sind wegen ihres Wasserrreichtums Lebensräume für Bergmolche, Unken und Geburtshelferkröten. Die meisten enthalten ergiebige Fundstellen von Fossilien (z.B. Ammoniten und Belemniten). Bei Bauten und der Anlage von Strassen mieden Ingenieure wo immer möglich den instabilen Baugrund. Damit man den lebendigen Ton nicht mit aufwendigen Baumassnahmen bis in alle Zukunft dränieren und stabilisieren musste, hielt man sich an die Devise: Hände weg von Opalinuston-Schichten.

Diese Binsenwahrheit beeinflusste während Jahrzehnten das Gedanken-Labyrinth der Nagra-Geologen auf dem Weg zum Jahrhundertprojekt Kombi-Tiefenlager Stadel ZH 2022. Das Umschwenken der Nagra auf den Opalinuston wurde mit dem Scheitern aller bisherigen Bemühungen erforderlich. Die getätigte Standortwahl gilt bei den Verantwortlichen alternativlos als die „Beste“. Ihre Umsetzung wird mit viel Geld, Propaganda und Angeboten in Angriff genommen.

Das Felslabor Mont Terri in St-Ursanne, Kanton Jura https://www.mont-terri.ch
 
Auch ohne den Nagra-Focus auf die rund einhundert Meter dünne Schicht des Opalinustons in St-Ursanne ist die Gegend interessant. Das imposante Tal des Doubs, der gebirgige welsche Kanton Jura, die weite Landschaft auf den Hochflächen, das alte Städtchen St-Ursanne mit der Nepomuk-Brücke, viel französischem Charme mit Bäckereien, Metzgereien, Läden, Gaststätten und der Milchsammelstelle sind vielen Leuten aus dem Schweizer Mittelland unbekannt. Wenn man sich etwas Zeit nimmt, ist sie durchaus ein attraktives Ziel für mehrere Tagesausflüge oder gar Ferien. Der Rand der welschen Schweiz und der französische Jura sind in wenigen Stunden problemlos erreichbar.

Besucherzentren wie das Felslabor Mont Terri haben in der Regel eine Geschichte. Bevor sie als touristische Infrastrukturen ihre Angebote präsentieren, haben Landschaft und Denkmäler viele verschiedene Nutzungen hinter sich. Der Begriff Felslabor an sich, gibt die Geheimnisse nicht wieder. Die Vorstellungen verbinden sich mit weissen Mänteln und Experimenten. Die Homepage gibt Hinweise auf die konkreten Angebote. Die Sache ist relativ komplex: Das Felslabor Mont Terri ist nicht aus einer Idee (z.B. der Erforschung der Lagerung von Atommüll) geboren worden. Die Institution ist eine finanziell geförderte touristische Einrichtung zur Strukturverbesserung der wirtschaftsschwachen Jura-Region. Sie nutzt Lokalitäten in den alten Gebäuden und Stollen der stillgelegten Kalkfabrik St-Ursanne.

Der Kanton Jura ist der jüngste der Kantone. Nach jahrzehntelangem Widerstand der  Separatisten gegen die Berner Traditionsherrschaft entstand er 1979 in der dünn besiedelten Grenzregion gegen Frankreich. Der Bund nahm 1984 das Autobahnteilstück A16 Transjurane, als Teil der Integration und der wirtschaftlichen Entwicklung, ins Nationalstrassen-Programm auf. Es verbindet das Mittelland (Seeland) mit dem Kanton Jura und dem Strassennetz in Frankreich. Der Widerstand aus der urbanen Schweiz gegen neue Autobahnen war damals gross. Noch grösser allerdings waren die Zustimmung der Bevölkerung des Kantons Juras und der politische Druck der Strassenbauer. Der komplizierte Bau mit vielen Tunnels dauerte rund dreissig Jahre (bis 2017).

1989 wurde zwischen St-Ursanne und Courgenay (Ajoie), unter dem Mont Terri, ein Sondierstollen für die Autobahn ausgebrochen. Dieser führte auf einer Länge von rund zweihundert Meternhorizontal durch die von der Jurafaltung schräggestellte Schicht des Opalinustons. Beauftragte Nagra-Geologen erfuhren von ihren im Strassenbau tätigen Kollegen, von den besonderen Eigenschaften der Tonschicht. Auf der übrigen Untertagestrecke  war es nass. Aus unzähligen Spalten in Kalkfelsen lief zeitweise Wasser. Der Bereich des Opalinustons war hingegen absolut trocken. Für die Nagra-Führung stand der Ton, aufgrund seines schlechten Rufs als unmöglicher Baugrund, sehr weit unten in der Gunst des Interesses. Es brauchte das Beharrungsvermögen einiger weitsichtiger unter den beteiligten Geologen, dass die Nagra sich wenigstens die Option Opalinuston offen hielt. Der Sondierstollen ist bis heute erhalten geblieben. Er dient als Sicherheitsstollen für die Autobahnröhre und als Zufahrt zum heutigen Felslabor.

Ende August 1994 wurde die Bevölkerung von St-Ursanne durch Proteste von Umweltaktivisten aufgeschreckt: Im alten Stollensystem der stillgelegten Kalkfabrik St-Ursanne wurde Sondermüll eingelagert. Die chemische Industrie in der Schweiz war massiv gewachsen. Die problematischen Abfälle wurden in einem eigentlichen Giftmüll-Tourismus in ländlichen Schutthalden und alten Abbaugebieten abgelagert. Der Kanton Aargau wollte das Problem der wilden Deponien lösen. Er bewilligte 1978 in der abgebauten Tongrube Kölliken, wo die Zürcher Ziegeleien/Keller früher Ton aus der Unteren Süsswassermolasse abgebaut hatten, eine zentrale Sondermülldeponie. Aus der ganzen Schweiz wurden Fässer angekarrt, abgelagert und schichtweise mit Erde zugedeckt. Gegenüber der Kritik am Vorgehen erwies sich die zuständige kantonale Behörde als sehr resistent. Sie war überzeugt, dass allein die Zentralisierung der Abfälle eine gute Sache und ein Fortschritt seien. Als dann in der Umgebung die Luft immer mehr stank und der Grundwasserstrom ins Aaretal nachweislich Gifte mitführte, liess sich die Argumentation nicht mehr halten. Die Schliessung der Sondermülldeponie Kölliken wurde 1985 von der Öffentlichkeit erzwungen. Die spätere Ausbuddelung  verkaufte der Aargau der Öffentlichkeit als erfolgreiche Sanierungs-Pionierleistung.  Kosten von rund siebenhundert Millionen Franken blieben den Steuerzahlern des Kantons erhalten.
 
Mit der Schliessung der Sondermülldeponie Kölliken nahm die Menge der  Chemieabfälle natürlich nicht ab. Industrie und Entsorger suchten sich einfach neue Orte und liberal-unbedarfte Kantone. Darunter waren die Deponien in Bonfol (JU) und die Stollen der stillgelegten Kalkfabrik St-Ursanne.  Die Nationalrätin Ruth Gonseth (BL) stellte dem Bundesrat am 6. Oktober 1994 in einer Interpellation Fragen zum Giftmüll im Kanton Jura. Die schriftliche Antwort war simpel. Gemäss dem Wortlaut des Umweltschutzgesetzes (USG) vom 7. Oktober 1983 sind die Kantone für die Mülldeponien und die Kontrolle des Vollzugs zuständig. Der Kanton Jura beauftragte den Geologen Marcos Buser mit Abklärungen. Der Regierungsrat verbot daraufhin die Ablagerung in St-Ursanne und ordnete die Sanierung/Räumung an. Als Folge der Abklärungen, der Entscheide und der öffentlichen Entrüstung tauchte automatisch die Frage auf: Was macht der Kanton mit den leer stehenden Gebäuden und den Stollen der alten Kalkfabrik St-Ursanne? Wie können eine Wertschöpfung für die Region generiert  und weitere unerwünschte Nutzungsideen durchkreuzt werden?

Der Kanton Jura unterstützte 1996 das Projekt Felslabor Mont Terri mit den Aspekten Tourismus, Erhaltung, Forschung. Die Nagra und ihre Auftraggeber hätten die politische Gunst der Stunde gerne übernommen. Doch genau das wollte der Regierungsrat des Kantons Jura nicht (WOZ, 11. März 2010; Der Berg tut nie, was man von ihm erwartet). Er nutzte die ihm eigene Selbständigkeit, seine Haltung vertraglich festzulegen: Die Führung des Gesamtprojektes Mont Terri muss durch eine Bundesinstanz gewährleistet werden. Alle Experimente, die durchgeführt werden, müssen vom Kanton Jura bewilligt werden. Experimente mit strahlenden Materialen über den festgelegten Freigrenzen sind verboten. Eine vom Kanton eingesetzte Commission de Suivi  überwacht die Einhaltung der Auflagen.

Seit 1996 werden die Eigenschaften und das Untertage-Verhalten von  Tongestein in neuen Stollen im Opalinuston von verschiedenen Organisationen und internationalen Teams geforscht. Das Bundesamt für Landestopographie (swisstopo) betreibt und erneuert das Stollen-System und leitet das Gesamtprojekt: Forschungsplattform, Forschung und Entwicklung, Methoden, Überprüfung von Annahmen, Charakterisierung des Gesteins, Erfahrungen mit Ausbruch und Verhalten, Patente und geteiltem Know-how für alle. Bis heute konnte die Organisation und die vertraglichen Vereinbarungen von 1996 durchgehalten werden.

Missbraucht die Nagra ihr aktuelles Engagement im Felslabor Mont Terri für Propaganda?
 
Das Interesse der Nagra, die Möglichkeiten des Felslabors Mont Terri in ihrem Sinne zu nutzen, nahm mit der Abarbeitung des Sachplans geologische Tiefenlager (ab 2008) laufend zu. Seit die tropisch-marinen Ablagerungen des Jura-Zeitalters (Opalinuston) als offenbar alternativloses Lagergestein für Atommüll auserkoren wurden, stiegen auch die Stollen im Mont Terri auf diese Stufe. Die günstigen Eigenschaften des Gesteins werden prominent beschrieben (Prospekt Felslabor Mont Terri, Mai 2012): „Der Opalinuston weist mehrere Eigenschaften auf, die sich auf die Sicherheit eines geologischen Tiefenlagers günstig auswirken. Dazu gehören neben dem guten Einschlussvermögen, der sehr geringen Wasserdurchlässigkeit und dem vorwiegend diffusen Transport gelöster Stoffe auch eine homogene Struktur, die Rückhaltung von Radionukliden an den Tonmineraloberflächen sowie die Fähigkeit, Risse und Klüfte durch Quellung selbst zu verschliessen“. Die Aufzählung von negativen und unberechenbaren Eigenschaften bezüglich der „Forschung für die geologische Tiefenlagerung“ fehlt im Prospekt.

Die Nagra geht im Jahrhundertprojekt davon aus, dass der Opalinuston Poren-Wasser über lange Zeiträume eingeschlossen halten kann. Die Diffusion nach aussen erfolgt nur sehr langsam. Das braucht es für die geplante Einlagerung des Atommülls: Einbringen, verschliessen und vergessen. Die Radioaktivität klingtnach einer Million Jahren durch natürlichen Zerfall von selbst aus. Wenn sie bis dahin nicht an die Erdoberfläche entweichen konnte, war die sichere Entsorgung erfolgreich.

Ein paar „Herausforderungen“, die die Vorstellungen der heilen Welt stören könnten, werden kleingeredet: Wie bringt man den Atommüll ohne Störung der Eigenschaften der Tonschichten neunhundert Meter unter die Erdoberfläche? Störungen in den Schichten, Baufehler, Reaktionen mit fremden Materialien, Erdbeben, Sabotage und was weiss ich, können die Wandermöglichkeiten für die strahlenden Teilchen so verändern, dass sie vor ihrem Zerfall Grundwasser, Lebewesen und Nahrungsketten erreichen.
Geologie, Biologie und Klimatologie sind faszinierende Forschungsbereiche der Naturwissenschaften. Ohne jede Eile gestalteten sie über Jahrmilliarden das Antlitz der Erde. Sie ermöglichten ihre Besiedlung bis hin zur heutigen Übernutzung durch die acht Milliarden Exemplare des Homo sapiens und seiner künstlichen Intelligenz.

Für den Ausbruch von Tunnels, Baugruben und Felssicherungen verfügt die Schweiz über viel Erfahrung. Konsequent werden praktisch alle Böschungen und Wände gegen Erosion gesichert und abgedeckt. Standardmässig bleibt den Neugierigen im Alltag der Blick auf Erdschichten verwehrt. Die Zufahrt zum Felslabor erfolgt durch den weitgehend mit Spritzbeton ausgekleideten Sicherheitsstollen der Autobahn. Das Gestein sieht man nur auf kurzen Strecken des Stollens. Das Felslabor, etwa 1 km vom Südportal entfernt, besteht aus einem separaten, horizontal vorgetriebenenStollensystem im Bereich der tektonisch bedingt mit ca.45° steilgestellten Opalinuston-Schicht. Ausgesparte Sichtfenster im Spritzbeton ermöglichen punktuelle Einblicke auf grau-schwarze, rissige Felswände. Den Bergdruck, die Quellung durch die Luftfeuchtigkeit, die Sicherungsmassnahmen muss man sich vorstellen oder erklären lassen. Je nach Fragestellung und Bedarf für Forschungen werden neue Stollen ausgebrochen. Der einfache (horizontale) Zugang vom Nord- und Südportal gewährleisten Lüftung und Sicherheit. Man kann man probieren, Fehler korrigieren, Experimente abbrechen und Verfahren optimieren.

Marines Wasser, das vor 175 Millionen Jahren in den Gesteinsporen eingeschlossen wurde, ist zwar noch nachweisbar. Doch mindestens die Hälfte der Stoffe (z.B. Salz), die damals im Meerwasser enthalten waren, sind weg (WOZ 11.3.2010). Sie sind im Verlaufe der Zeit einfach durch Diffusion „ausgewandert“. Im Porenwasser lebt ein Bakterium, das gänzlich ohne Luft und Licht auskommt. Wie zu Urzeiten der Erde gedeiht es zusammen mit andern Lebewesen tief unter der Erde. Bei etlichen ist nicht klar, ob sie schon vor dem Bau der Stollen hier waren. Im Opalinuston kann man ohne Beeinträchtigung der Eigenschaften bis anhin ungestörter Schichten bauen. Man kann sich nicht vorstellen, welche Kraft Mikroben im Kontakt mit neuen Materialen entwickeln können. Der hastige Mensch ist der Herausforderung nicht gewachsen, weil er für die langsamen Prozesse keine Zeit und kein Vorstellungsvermögen hat.

Die Beurteilung der Langzeitsicherheit des Kombi-Tiefenlagers Stadel ZH erfolgen in zeitlich festgelegten Verfahrensschritten. Als Methoden zur Begründung der Standortwahl und des Rahmenbewilligungsverfahrens werden genannt: Experimente im Felslabor Mont Terri, Naturanaloga, Probebohrungen und Modellierungen. Es fallen zwei Sachen auf: Im Opalinuston des vorgesehenen Tiefenlagers finden frühestens nach rechtsgültig erteilter Rahmenbewilligung standortbezogene  Untersuchungen „auf Tiefe“ statt. Erst dann kann die Übertragbarkeit von Erkenntnissen aus dem Mont Terri auf die Verhältnisse am Standort überprüft und validiert werden. Bis zu diesem Zeitpunkt  sind  die Eigenschaften des zugänglichen Tons unter dem Mont Terri für die Beurteilung nicht massgebend. Mont Terri ist einfach ein opportunistisch bequemer Bestandteil der heutigen Rahmenbewilligungsverfahren. Diese bestehen weitgehend aus politischen Vorgaben und Propaganda.

Und zweitens: Frankreich, unser westliches Nachbarland ist der Lösung dieses Problems viel näher als die Schweiz und offensichtlich gewillt, die Sache ernsthaft anzugehen. Die drittgrösste Atommacht der Welt, produziert in 58 Atomkraftwerken mit 75 Prozent den höchsten Anteil am eigenen Strom (Schweiz:  5 Atomkraftwerke, 25 Prozent Anteil) und betreibt in La Hague (Normandie)  eine Wiederaufbereitungsanlage. Es gibt keine Absichten für einen Ausstieg aus der Atomkraft. Die sichere Lagerung der Abfälle und die Rückholbarkeit (z.B. für die spätere Wiederverwendung) haben in Frankreich deshalb eine ganz andere Bedeutung als in der Schweiz: Frankreich will eine Lösung, weil die Nutzung weitergeht. Frankreich forscht in Bure (https://international.andra.fr) bereits unten in situ. Die Forschung in den vorgesehenen Lagerschichten ist weiter fortgeschritten. Die konkreten Erfahrungen der Franzosen spielen für die Nagra und die Bewilligungsbehörden keine Rolle, weil die Atommüllproduzenten an einer eigenen Lösung Geld verdienen wollen. Auch wenn sie teurer und riskanter ist.

Natürlich beteiligt sich Frankreich auch bei Experimenten im Felslabor Mont Terri. Die Wissenschaftler und Studenten bilden schliesslich eine grosse Familie und benötigen Ausbildung.
 
Wozu dienen Demonstrationsexperimente der Nagra im Felslabor Mont Terri?

Im Felslabor Mont Terri wird nicht nur geforscht und ausgebildet: Die Nagra entwickelte für ihr Jahrhundertprojekt auch die Sparte der Demonstrationsexperimente: „Mit Demonstrationsexperimenten werden Verfahren zur Einlagerung von Abfallbehältern erprobt. Diese Experimente dienen dem Nachweis der Machbarkeit eines geologischen Tiefenlagers. Das Experiment FE stellt eine Weiterentwicklung von EB dar. Im Masstab 1:1 wird das Einlagerungskonzept für verbrauchte Brennelemente überprüft. Dabei werden die durch radioaktiven Zerfall entstehende Abwärme und das Gewicht der Abfallbehälter mit Heizelementen simuliert. Über mehrere Jahre wird beobachtet, wie sich die Verfüllmaterialien und das Gestein unter Temperatureinwirkung verhalten.
Solche Demonstrationsexperimente sind zudem geeignet, den Besuchern das Konzept der Tiefenlagerung anschaulich zu erklären“ (www.mont-terri.ch, Prospekt Mai 2012).

Modelle im angeblichen Massstab 1:1 suggerieren Sicherheit und Machbarkeit. Vor Schautafeln und Modellen kann man mit Helm und gelbem Gilet trefflich diskutieren. Je nach Gruppe und Laune der Auskunftsperson findet das Erlebnis zwischen Empfangskaffee und Abschiedsapéro statt. Das ist ja gut und recht: Aber wo bleibt die Relevanz gegenüber den wirklichen Herausforderungen? Der Massstab entspricht oft nicht dem Titel 1:1. Weder in der Grösse noch in der räumlichen und zeitlichen Dimension. Vieles erscheint als generische Fingerübung im Sandkasten und dient der Veranschaulichung von theoretischen Absichten und Annahmen. Ob sich die Realität später an die Überlegungen und Hoffnungen der Präsentation hält, steht auf einem andern Blatt. Auf einem Blatt, das noch weitgehend leer ist (https://www.mitwelt.org/mont-terri.html).

Der Weg zu einer vernünftigen Lösung ist noch weit. Die Risiken des Atommülls sind schon da. Die Atomkraftwerke und das Zwischenlager in Würenlingen haben Verfallsdaten. Die kostspieligen Untersuchungen in der Tiefe des Tiefenlagers stehen wohl noch zwei Jahrzehnte aus. Sicherheit kann an Modellen nur simuliert aber nicht garantiert werden. Das stete Wachstum, das Profiteure und die ihnen hörigen Politiker schafft Probleme, die die Handlungsmacht der Menschen übersteigen (https://www.inforsperber.ch; 14.11.2022, Kommentar Ruedi Beglinger). Die Menschen, die darunter leiden sind machtlos. Die Uhr der Zeit tickt langsam aber unerbittlich. Die Nagra bastelt sich ihre Modelle zusammen und präsentiert sie im Felslabor von Mont Terri. Mehr oder weniger inspirierte Leute präsentieren die anschaulichen Darstellungen von Konzepten als machbare Lösungen. Eingeklemmt im Korsett zwischen Propaganda, Loyalität und beschränktem Auftrag spulen sie das Besuchsprogramm ab.

Ich will niemandem den Besuch, ob Gratisreise oder Vereinsausflug, vermiesen. Es war und ist interessant in St-Ursanne. In meinen Zweifeln gegenüber der Nagra aber, fühle ich mich einmal mehr bestätigt: Das Jahrhundertprojekt kann trotz aufwendiger Organisation keine Sicherheit für eine Million Jahre garantieren. Daran ändert sich mit dem Besuch des Felslabors Mont Terri nichts: Für die Entsorgung des Atommülls verbleiben, wie für andere Probleme, nur die internationale Zusammenarbeit oder das Scheitern.

 
 
Bildlegende:
Zu Besuch im Felslabor Mont Terri, St-Ursanne, 17.8.2020: Die Nagra bastelt sich ihre Modelle zusammen und präsentiert sie im Felslabor unter dem Mont Terri. Mehr oder weniger inspirierte Leute präsentieren die anschaulichen Darstellungen von Konzepten als machbare Lösungen. Die Frage der Sicherheit des Kombi-Tiefenlagers in Stadel ZH lässt sich im Mont Terri nicht beantworten.

Die Erlebnisse im Felslabor Mont Terri stammen von einer Informationsreise des Vorstands von Pro Bözberg (www.pro-boezberg.ch).
 
 
Heiner Keller, Oberzeihen, 23. November 2022
 
 

 

Das Schweizer Atomprogramm und der Atommüll: Die Sicherheiten, die der Bundesrat und die Nagra der  Bevölkerung bieten können, sind wegen globaler Gefährdungen, äusserst schwach.

Heiner Keller, 29. Oktober 2022

 
Sicher sind nur der Tod und die Risiken durch unsere Lebensweise.
 
Je mehr sich die Nagra-Propaganda dem Start ihres neuesten Jahrhundertprojekts annäherte, desto häufiger wurden über Sicherheiten, Wissenschaftlichkeit und Transparenz geschwafelt. Ein bestellter und perfekt getimter Expertenbericht aus Deutschland (www.nagra.ch; 20.10.2022) wurden von der Nagra ungefiltert und ausserhalb jedes Verfahrens direkt allen Medien übermittelt. Auf der Nagra-Homepage klopft man sich auf die Schultern und breitet genüsslich Eigenlob aus: Die Expertengruppe Schweizer Tiefenlager ESchT begrüsst, dass es der Nagra gelungen ist, ihren Vorschlag ausschliesslich auf Entscheidungsgrundlagen der Geologie abzustützen. Dies entspricht dem Primat der geologisch-technischen Sicherheit in überzeugender Weise. Es sei nicht zu erkennen, dass politische Einflussnahme die Standortwahl beeinflusst hätte. Ein paar auserwählte Deutsche bestätigen die Nagra-Plausibilität der Standortwahl. Gleichzeitig geben sie noch Antworten auf die Kritik von eingeborenen Anwohnern. Die heisse Verpackungsanlage in Würenlingen AG und das Kombi-Tiefenlager für den Atommüll in Stadel ZH, sind nicht nur sicher, sondern sie haben sogar noch Reserven. Ich weiss nicht, ob ich lachen oder weinen soll, ob so viel Unverfrorenheit und Humor. Ernsthaftigkeit, im Zusammenhang mit Atommüll aber, die sieht für mich anders aus.
 
Die Standortwahl der Nagra basiert auf folgender Logik: Wenn mit grossem Brimborium aus drei ungeeigneten Standorten der am wenigsten schlechte ausgewählt wird, dann muss das der Sicherste sein. Die Nagra, ihre Angestellten, die beauftragen Experten, die Bewilligungs- und Aufsichtsbehörden, angeführt vom bezahlten Verein Forum Vera, suhlen sich gemeinsam im angenehmen Fahr-Wasser der eigenen Wohlfühl-Oase. Sie schliessen kollektiv die Augen vor unangenehmen Realitäten und behaupten: Bei uns ist jetzt Nacht. Wir brauchen den Tag nicht mehr, weil wir genug wissen und entscheiden können. Wenn die Nagra, das Bundesamt für Energie BFE und das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi nichts sehen, nichts hören und nichts sagen wollen, dann müssen es halt die tun, die den Verlockungen des Geldes, der Gewöhnung und der Resignation noch nicht ganz erlegen sind.
 
Das Nagra-Jahrhundertprojekt entpuppt sich heute schon als Flop. Die Geschichte der Lösung ist voller Brüche und Ungereimtheiten. Künftig werden Bund und Kantone noch mehr als bisher auf internationalen Druck reagieren müssen. Vorsorglich haben Regierungen und Parlamente bereits begonnen, mittels Notrecht Gesetze ausser Kraft zu setzen. Sie schaffen neue Abhängigkeiten und Wirrnisse. Planungssicherheit, Demokratie und Eigeninitiative für Innovationen waren einmal.
 
Das BFE und die Nagra begannen in der 50-jährigen Misserfolgs-Geschichte der Schweizer Entsorgung von Atommüll jeden neuen Vorschlag mit einer Propaganda-Offensive. Die Geschichte der Standortwahl vom 12. September 2022 dokumentiert: Die Nagra, die Kantone, BFE, ENSI, die involvierten Akteure und alle Statisten haben mit dem Sachplan geologische Tiefenlager einen Scherbenhaufen angerichtet (https://www.nuclearvaste.info/der-kontaminierte-prozess/). Stichworte sind: Untaugliches Vorgehen, undefinierte Verfahren, undurchschaubare Verflechtungen, mangelhafte Untersuchungen, Brüche in der Argumentation, das Fehlen einer Projektleitung und die willkürliche Auslegung von Gesetzestexten (z.B Kernenergiegesetz KEG). Für die Standortentscheide liegen keine überprüfbaren Grundlagen und keine Vergleiche mit internationalen Kriterien vor. Nach gewohnter Nagra-Axpo Manier wirken auch die neuen CEO’s wie getrieben, zusammen mit BFE, Ensi und Regierungsräten,  Glaubwürdigkeit auf der Stufe unter null zu halten. Glaubwürdigkeit im Umgang mit Atom und deren Nutzung war nie eine Stärke der Politik. Und die Nagra vollzieht nur ihren Teil dieser Politik. So wie sie es seit Anbeginn ihrer Tätigkeit immer auftragsgemäss so gemacht hat (https://www.infosperber.ch/politik/schweiz/nagra-angebohrt-eine-alte-broschuere-neu-gelesen/).
 
Die Nagra tut alles, um die Differenzen zwischen Auftrag/Wissenschaft/Realitäten und den Wünschen ihrer Auftraggeber möglichst klein erscheinen zu lassen. Die Kommunikationsabteilungen stellen verharmlosende Videos  einer Reise ins Tiefenlager als virtual reality Erlebnis ins Internet. Vorbereitete Fragen werden mit wohl formulierten Antworten erschlagen. Nachfragen stellt niemand. Sie würden die gewohnte Usanz und die Politik der getätigten Vorauswahl stören. Verschiedene Entscheidungen sind offensichtlich intern und lange im Voraus gefällt worden. Die gesetzlich verankerte Möglichkeit, Atommüll auch im Ausland entsorgen zu können, wurde nicht einmal in Betracht gezogen. Die sich verändernden Umwelt- und Gefahrenlagen werden mit Ignoranz und Überheblichkeit überbrückt. An wackeligen Annahmen wird so lange festgehalten, wie es den Atommüll-Produzenten dient. Aktuellen Probleme und Realitäten schüren Zweifel: Wollen die Politik und die Nagra eigentlich das Problem lösen oder nur im Sinne der Interessen ihrer Gesellschafter professionell bewirtschaften?

Politiker, Chef-Lobbyisten und CEO‘s arbeiten heute flexibel zusammen. Neue Manager sind kreativ, wenn es ums Geldverdienen geht. Sie sorgen bei Schönwetterlagen, steigenden Preisen und Aktienkursen für eigene Gewinne, Dividenden und Ansehen. Wer bitte soll sich in dieser volatilen Zeit, die den Skrupellosen so viele Chancen zur Mehrung ihres  Reichtums bieten, noch um handfeste aber unangenehme Restanzen aus der Vergangenheit, um die Verfassung oder das Volkswohl kümmern? Neue Schulden werden zu Sondervermögen. Friedensbemühungen brauchen mehr Waffen und die Wenden von den Wenden werden endlos. Das Volk kommentiert still und akzeptiert: Die Ehrlichen kommen in den Himmel, die anderen schaffen es überall hin. Und nicht einmal die Deutschen, die mit dem obrigkeitlich verordneten Umbau ihrer Gesellschaft die Erde retten wollen, haben eine Lösung für ihren strahlenden Atommüll aus früheren Zeiten und dem vorläufigen Streckbetrieb..

Die Tages-Politik wird monatlich wirrer. Regierungen und Parlamente überbieten sich in der bequem Anwendungen von Notrecht und inszenierten Umfragen. Vordergründig geht es um Mangellagen, die von Putin’s Russland veranlasst wurden. Sie lassen weder ein Zögern noch die Einhaltung der eigenen Verfassung oder von Gesetzen zu. Für die Akteure sind sie willkommene Gelegenheiten endlich mit bestehenden Wachstums- und Fortschrittshindernissen unserer Demokratie aufzuräumen. Innovative Macher brauchen freie Fahrt. Über Begründungen und Auswirkungen braucht man nicht nachzudenken. Dabei sind  Mangellagen nicht aus dem Nichts entstanden: Wir leben schlicht auf zu grossem Fuss. Wir wuchsen über das tragbare Mass der Landschaft und der Erde hinaus. Wir, die Wohlstandsnationen, führen uns auf dem Globus auf, wie eine Horde pubertierender Affen in einem Wald. Dabei möchte ich die Affen nicht beleidigen. Affen kämen rasch wieder zur Ruhe, wenn sie die Folgen ihres Tuns zu spüren bekämen. Unsere Lobbyisten und Politiker dagegen tun so, als könnten Staaten mit Geld, militärischer Aufrüstung, Sanktionen und dem Abbau von Volksrechten immer weiteres Wachstum schüren und gegen die Mehrheit der verarmenden Völker verteidigen. Sie schüchtern Menschen ein und nehmen ihnen jede Zuversicht, Planungssicherheit und Engagement. Für die Lösung von Problemen sind die Aktivitäten nicht nur untauglich, sondern verantwortungslos. Und zwar unabhängig davon, ob es sich um weiteres Wachstum, die Plünderung und Vergiftung der Erde oder das Hüten des sich ansammelnden Atommülls handelt.

Im September 2022 begab sich die Axpo, nach gewichtiger Fürsprache der Eignerkantone, unter den milliardenschweren Rettungsschirm des Bundes. Einfach so zur bequemen Absicherungen lukrativer Handelsgeschäfte. Bundesrat und Parlament stimmen selbstverständlich zu. Wer weiss, vielleicht können andere Firmen, Spekulanten oder Kanton, deren Interessen Parlamentarier vertreten, das nächste Mal auch vom Bundes-Manna profitieren. Der CEO der Axpo scheute sich nicht, zur behaupten: Die Axpo hat keinen Versorgungsauftrag für Schweizer Energie. Ich interpretiere: Einen solchen würde er sich zur Mehrung der Dividenden für die Kantone natürlich geben und bezahlen lassen. Auf die Rückendeckung der Regierungsräte der Strom- und der Bergkantone (Alpenopec) zählend, fühlt er sich stark und unabhängig. Der Bundesrat fördert die Stromproduzenten mit Ausgleichszahlungen aller Art. Er setzt im kommenden Winter eigenmächtig vereinbarte Restwasserbedingen bei Wasserkraftwerken auf die Stufe minimal. Verhandelte, abgegoltene und für Jahrzehnte gültige Kraftwerkskonzessionen werden mit einem Federstrich durch die einsame Obrigkeit nichtig. Mitsprachemöglichkeiten für Steuerzahler und Stromkonsumenten gibt es dafür keine. Stromkosten, Abgeltungen für Infrastruktur und grünen Strom steigen im gleichen Umfang, wie die unverhofften Gewinne für die Händler und Dienstleister. Spekulation unter Rettungsschirmen lohnt sich.

Die Eignerkantone der Axpo, vertreten durch Regierungsräte, zwingen ihrem Stromkonzern nicht etwa Pflichten auf, sondern sie kopieren das antidemokratische Vorbild des Bundes in ihrem eigenen Bereich. Bis 2050 will der Regierungsrat des Kantons Zürich, vertreten durch den grünen Baudirektor Martin Neukom, sieben Prozent des kantonalen Energiebedarfs mittels 120 grossen Windrädern abdecken. Für dieses windige Wunschdenken (NZZ, 14.10.2022), nach dem Vorbild der deutschen Ampelregierung, sollen geltende Gesetze ausgesetzt und Kompetenzen von Gemeinden (Gemeindeautonomie) beschnitten werden. Wo der Wind fehlt, schwafelt der Regierungsrat halt von Potential und Abgeltungen.

Das ständige Wachstum, von dem alle wissen, dass es nicht ohne irreparable Schäden an Gesellschaft, Demokratie, Neutralität und Heimat bleibt, wird mit ständig neue Begrifflichkeiten und Begründungen befeuert. Die Farbe der Parteien und das Geschwätz von gestern spielt für das verheerende Handeln keine Rolle. Die sich folgenden Krisen und der globale tobende Wirtschaftskrieg sind das, was „hinten herauskommt“.  Noch nie wurden so viele Menschen zum Konsum verleitet, zum Herdentum getrieben und zu Schwarm-Verhalten gezwungen, wie heute. Die aktuell einseitige Ausrichtung der gewählten Legislativen zu mehr Mainstream, Zentralismus und Wachstum und gegen demokratische Rechte des Volkes und der Selbständigkeit der Schweiz, sind falsch und unentschuldbar. Das Resultat: Immer weniger Leute lesen Zeitungen und hören Nachrichten. Sie wenden sich von der Politik ab und begeben sich in eigene Foren.

Frau Bundesrätin Sommaruga ist zurzeit (noch) für das BFE und die Entsorgung des Atommülls gemäss Kernenergiegesetz KEG zuständig. Sie hat aber wenig Zeit. Der Zürcher Baudirektor Martin Neukom ist in x-fach-Rollen (z.B. Präsident des Ausschuss der Kantone AdK,  Vertreter des Haupt-Dividendenempfängers bei der Atommüll-Produzentin Axpo,  oberster Naturschützer, Planer, Landwirt, Förster, usw.) im wirtschaftlich mächtigsten Kanton der Schweiz unterwegs. Über all die offensichtlichen Verflechtungen, Konflikte und kritischen Entwicklungen breitet das BFE (Focus Tiefenlager, Mai 2022, Nr. 18) zur Vorbereitung des Jahrhundertprojekts der Nagra offiziell folgendes Gesäusel aus: Die Nagra identifiziert den am besten geeigneten Standort mit wissenschaftlichen Methoden und Kriterien. Die Behörden überprüfen dann die Ergebnisse der Nagra unabhängig und unbeeinflusst von der Politik. Die konsequente Transparenz des Verfahrens sorgt dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger verstehen und nachvollziehen können, was Nagra und Behörden tun und zu welchen Schlüssen sie kommen. Das ist nicht etwa Kabarett, Karikatur, Realsatire oder der Vorspann zu einem Bambi-Film. Nein, es beschreibt, wie das zuständige BFE das Drehbuch und die Filmrollen der Schauspieler und Statisten im wirren Theater des Jahrhundertprojekts der Nagra sehen.

Wer sich nicht in die von der Politik und den Amtsstellen vorgegebenen Denkschemen fügt, riskiert Konsequenzen. Bei künftigen Auftragsvergaben, Beiträgen für Dienstleistungen oder bei Geldgeschenken aus Fonds (z.B Swisslos, Sponsorenschatullen) muss er sich warm anziehen.


Voraussetzung für die zwei Rahmenbewilligungs-Gesuche in Stadel ZH und Würenlingen AG. Das Kernenergiegesetz KEG hält fest: Es besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Rahmenbewilligung. Eine aktuelle Beurteilung der Lage wäre angebracht.

Im Kernenergiegesetz KEG sind die Aufgaben der Atommüllproduzenten für die korrekte Entsorgung ihrer Abfälle klar formuliert. Neue Atomanlagen, wie die heisse Verpackungsanlage in Würenlingen und das Kombi-Tiefenlager in Stadel ZH, brauchen eine Rahmenbewilligung des Bundes. In Art. 7 sind die Bewilligungsvoraussetzungen formuliert. Diese müssen erfüllt sein, bevor überhaupt ein Gesuch gestellt werden kann: a) der Schutz von Mensch und Umwelt und die nukleare Sicherheit und Sicherung gewährleistet sind; e) keine völkerrechtlichen Verpflichtungen entgegenstehen und die äussere Sicherheit der Schweiz nicht berührt wird. Die Rahmenbewilligung ist Pflicht, aber: Auf die Erteilung einer Rahmenbewilligung besteht kein Rechtsanspruch (Art. 12).

Den Gesetzesformulierungen kann der geneigte Leser unschwer anmerken: Sie stammen aus der Zeit der politischen Auseinandersetzung um den (auch damals schon "besten") Nagra-Standort im Wellenberg NW. Demokratie und Kantonshoheiten hatten damals noch einen hohen Stellenwert. Es war selten, dass Bundesrat und Bundesparlament Volk und Kantone entmachteten. Weil das KEG das tat, war der Gesetzgeber sehr vorsichtig. Er formulierte klar und wollte nicht der künftigen Interpretations-Willkür Tür und Tor öffnen.

Rechtsgültig erlassene Gesetze sind verbindlich bis zum Zeitpunkt, an dem sie vom Gesetzgeber aufgehoben werden. Für mich ist das aktuelle KEG die heute gültige Rechtsgrundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die Einreichung von Rahmenbewilligungsgesuchen gegeben sind. Da weder BFE noch Nagra etwas über eine solche Prüfung verlauten lassen, ahne ich: Beide glauben in ihrer heutigen Überheblichkeit und dem Brimborium-Jahrhundertprojekt den Anforderungen des KEG genüge getan zu haben. Die Aussage, wir können an allen drei Standorten ein sicheres Tiefenlager bauen, ist an Hybris, Unvernunft und Unverfrorenheit kaum zu überbieten. Sie steht im krassen Widerspruch zum KEG und zu Fakten: Weltweit ist keine einzige funktionierende Anlage zur sicheren Entsorgung von hoch-radioaktivem Atommüll in Betrieb. Wahrscheinlich, weil es nicht so einfach geht und noch wahrscheinlicher, weil die Verantwortlichen gar keine Eile haben. Alle andern haben ja auch nichts gelöst. Die Öffentlichkeit ist willens, die Lösung zu erzwingen, solange sie mit Atom und Atommüll noch Geld verdient.
Alle Fragen und Voraussetzungen gemäss KEG sind korrekt darzustellen und verfahrensgerecht zu beantworten. Weil die Nagra ihre Standortwahl am 12. September 2022 ohne nachvollziehbare Begründungen, Berichte und Prüfungen bekanntgegeben hat, muss sie jetzt zwingend darlegen, dass und wie ihre Standortwahl die Voraussetzungen für die Rahmenbewilligungsgesuche erfüllt.

Die Beurteilung der Lage ist ein altes Vorgehen für eine Entscheid-Findung und Entscheid-Begründung unter Zeitdruck. Die standardisiert-strukturierte, nachvollziehbare Lösung eines Problems innerhalb einer Organisation stammt aus der Zeit des Kalten Krieges. Das Vorgehen beinhaltete Stichworte wie Problem, Auftrag, eigene Mittel, feindliche Mittel, Varianten, Entscheid, Beschreibung der Lösung, Durchsetzung und Kontrolle. Es wurde stufengerecht angewendet  in der Armee, in der Geschäftswelt, in der Politik, in Banken und Industrie. Heute haftet der damaligen Eselsbrücke zur Ordnung der Gedanken ein schaler Geruch an. Die Beurteilung der Lage ist verpönt, weil man nicht mehr ehrlich ist. Man bevorzugt eigene und opportunistische Geschäfte dann zu machen, wenn die Gelegenheiten dazu günstig sind. Man vermeidet die Verantwortung und nutzt die Gunst der Veränderung und der Propaganda. So lange es geht. Lösungen und Aufwand können warten. Auf die Nachkommen.

Wenn ich mir die Homepage der Nagra ansehe und ihre Entwicklung interessiert verfolge, habe ich nicht den Eindruck, dass die Nagra überhaupt als Gesuchstellerein auftritt. Es scheint, dass sie der Einfachheit halber den Lead über das Verfahren und die Experten gleich selber übernommen hat. Vom Bundesrat hört man wenig bis gar nichts. BFE und Ensi assistieren von Amtes wegen einen angeblich perfekt laufenden Prozess, um den uns unsere Nachbarn beneiden. Und die Standortkantone wachen darüber, dass in ihrem Umfeld nichts Wachstumshemmendes passiert.


Wie können der Schutz von Mensch und Umwelt, die nukleare Sicherheit und Sicherung gemäss Art. 7 des KEG gewährleistet werden?

Im KEG werden konkrete Begriffe verwendet, auf die die Nagra bei der Präsentation ihres Jahrhundertprojekts 2022 gar nicht eingegangen ist. Jetzt können sie wohlwollend sagen: Der Geist der Sicherheit, der Wissenschaftlichkeit und der Gesetze fliesst sowieso permanent in den Adern der Nagra. Schliesslich wurden alle Fragen irgendwo und irgendwann in den zehntausenden von Berichtsseiten, in verschachtelten Amtsstuben und Sitzungszimmern abgehandelt und vom Bundesrat als richtig genehmigt. Mit andern Worten: Das Verstehen von einfachen Zusammenhängen zwischen Gesetzen und Projekten ist nichts mehr für Laien. Es ist nur noch ein Geschäft für Profis, für Experten, Dienstleister, Kommunikation und Juristen.

Ich wohne und lebe in der Realität von Bözberg West. Ich wurde von der Gesellschaft aufwändig ausgebildet, zahle hier Steuern und nehme am Geschehen teil. Von den Akteuren erwarte ich, dass die erlassenen Gesetze und die vereinbarten demokratischen Gepflogenheiten verständlich sind und eingehalten werden. Schliesslich bezeichnen wir uns als Wertegemeinschaft, die sich von Diktaturen und Anarchien unterscheidet.

Der Schutz von Mensch und Umwelt (gemäss KEG) vor den Auswirkungen seiner eigenen Verschmutzungen basiert auf dem Umweltschutzartikel in der Bundesverfassung. 1971 stimmten 93 Prozent der Stimmenden dem entsprechenden Artikel 74 zu:
- Der Bund erlässt Vorschriften über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen.
- Er sorgt dafür, dass solche Einwirkungen vermieden werden. Die Kosten für die Vermeidung und Beseitigung tragen die Verursacher.
- Für den Vollzug der Vorschriften sind die Kantone zuständig, soweit das Gesetz ihn nicht dem Bund vorbehält.

Der Umsetzung des Verfassungsartikels in einem Umweltschutzgesetz nützte die phänomenale Zustimmung des Stimmvolks nichts. Eine Einigkeit über konkrete Massnahmen gab es unter Politikern, Wirtschaft und Lobbyisten nie. Es dauerte bis 1983 und brauchte das Droh-Gespenst des Waldsterbens (zuerst stirbt der Wald und dann der Mensch), bis sich das eidgenössische Parlament über die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes einigen konnte. Ohne Not wollen sich Politik und vereidigte Amtsträger nicht im Wirtschafts-Wachstum und in Wachstums-Phantasien einschränken lassen. Weil die Drohung hohl blieb, hat sie der Glaubwürdigkeit enorm geschadet. Und so versauen wir auch 2022, trotz ausufernder Gesetze, Verordnungen, Amtsstellen, Kontrollen und Wissen unsere Atemluft und die Landschaft ungestraft mit Stickstoff und Feinstaub, Gewässer und Grundwasser mit chemischen Substanzen und Medikamenten, Ozeane und Kontinente mit Plastik und Mikroplastik. Wir lassen uns bei Abstimmungen und Wahlen in die Irre führen (unser Trinkwasser ist sauber). Clevere Lobbyisten missbrauchen ihre Macht: Schweizer Landwirtschaft, Schweizer Gewerbe, Schweizer Wirtschaft und Schweizer Arbeitgeber vereinigten sich 2022 „für eine stabile Schweiz“ (https://www.stabile-schweiz.ch). Die Übermacht des vereinigten Kapitals und der subventionierten Gülle propagiert das Weiter so (Stabilität für Reiche) auf den Plakaten der Bauernbetriebe. Egal was mit und rund um uns passiert: Wir brauchen alles Land für mehr Produktion, mehr Geld, mehr Beton-Gold und weniger Einschränkungen und Verzicht. Dafür reduzieren wir die unverschmutzte Umwelt, garnieren die Schäden mit etwas bezahlter Biodiversität (Landschaftselementen) aus dem Baumarkt oder den Samentüten des globalen Handels. Wir schaden damit dem Wohlbefinden der Menschen und verunstalten die Heimat bis zur Unkenntlichkeit. In diesem aktuellen Fahrwasser segeln auch die Atommüllproduzenten und ihr Jahrhundertprojekt mit. Ich bin ein gebranntes Kind: Seit 1971 ist es mit der globalen Umweltverschmutzung und dem Schutz der Natur auf der Erde ziemlich viel schlechter geworden. Das frustriert mich. Aber wieso soll ich von der Nagra erwarten, dass sie sich buchstabengetreu und auftragsgemäss an Gesetzestexte hält? Alle andern mogeln sich ja auch ohne in die Zukunft. Offenbar ist das allein mein Problem.

So etwas wie ein Volksempfinden für die Entwicklung einer nuklearen Sicherheit hat es nie gegeben. Die Zeit war zu kurz, die Gefahr zu abstrakt und vieles schöngeredet bzw. zu geheim und verschleiert. Nuklear und Atom war Militär aus dem zweiten Weltkrieg: Nutzung zur Zerstörung. Ab 1953 beschaffte sich auch die Schweiz auf Geheimdienstwegen waffenfähiges Uran. Angst drang nur 1962 in der Kubakrise kurz ins Bewusstsein der hiesigen Bevölkerung. Im Rahmen des Aufbaus des atomaren Gleichgewichts des Schreckens stellten die Sowjetunion in Kuba und die USA in der Türkei Mittelstreckenraketen gegen das jeweils andere Land in Position. Diplomatie ermöglichte den Abzug und verhinderte einen Atomkrieg. Was hinter irgendwelchen Drahtzäunen und unter dem Siegel des Geheimnisses in abgeschotteten Gebieten passierte, blieb im Verborgenen. Fantasien über militärische und zivile Nutzungen gediehen auch in offiziellen Schweizer Hinterzimmern. Die Armee träumte von Atommunition, kleinen taktischen Atomwaffen, für ihre Artillerie. Die NOK (heute Axpo) begann 1957 mit der Planung der Atomkraftwerke Beznau. Viele Naturschützer sahen in den Power-Werken mit schier endloser Energie die Möglichkeit, dass die Schweiz auf den weiteren Ausbau der Wasserkraftwerke mit neuen Staumauern verzichten würde. Sie waren zerstritten, verzichteten auf Opposition und wurden von der Entwicklung bis heute eines Besseren belehrt. 1965 begann der Bau der Atomkraftwerke Beznau. Sie gingen 1969 und 1971 ans Netz und in die Produktion von Atommüll. Was mit dem zu geschehen hatte, war noch nicht so ganz klar. 1972 wurde die Nagra gegründet. Seit damals hinkt sie sowohl dem Atommüll als auch der gesellschaftlichen Entwicklung einfach hinterher. Der internationale Atomwaffensperrvertrag musste die Schweiz widerwillig ratifizieren, weil sie sonst Handelsnachteile hätte befürchten müssen. Bis 1982 versenkte die offizielle Schweiz Atommüll im Atlantik, bis man sich auch das nicht mehr leisten konnte. Das BFE betrachtete das Vorgehen bis zuletzt als unbedenklich. Ob KEG oder Umweltschutzgesetz, echt Gedanken über den Schutz von Mensch und Umwelt machten sich weder die Nagra noch das BFE oder das Ensi. Gerne nahm man für Argumente in Anspruch, wenn der Bundesrat Grenzwerte festgesetzt hat. Der damalige Ensi-Direktor Hans Wanner verkündete am 31. Mai 2018 an einem Vortrag vor dem Nagra-Propagandaverein Forum Vera: Der Rhein könnte die 2730 Tonnen Uran, die im Tiefenlager entsorgt werden müssen, in sieben Jahren wegschwemmen und zwar in Trinkwasserqualität (https://www.g20.ch, 23. Juli 2018). Das ist eine völlige Verballhornung und ein Missbrauch des Gesetzes: Was dem Grenzwert entspricht, ist ein Garant für sauber. Das wird in der Schweiz so gemacht. Ganz schlechtes Trinkwasser zum Beispiel wird so gemischt, bis es dem Grenzwert entspricht. Den Kunden verkauft wird es als sauber und unbedenklich. Das Vorgehen verkennt die Naturgesetze der Wirkungen von kleinen Dosen. Für Radioaktivität gibt es keine unschädliche Dosis. Radioaktivität kann in der Natur angereichert werden  und sehr langlebig wirken. Einmal verteilt bis in die Nordsee lässt sie sich nicht mehr zurückholen. Genau deshalb muss der Atommüll während der Dauer seines natürlichen Zerfalls ja von der Biosphäre ferngehalten werden. Kabarettistische Kopfrechnungen helfen nicht weiter. Sie sind nicht einmal als Witze angebracht: Illusion is no solution against pollution. Aber Konsequenzen hatte der geistige Ausrutscher des obersten Verantwortlichen für die nukleare Sicherheit der Schweiz keine.

Das Thema Atom kocht in Presse und Öffentlichkeit immer dann kurz hoch, wenn irgendwo ein Unfall passiert. Unfall ist ein Ereignis, das eigentlich nicht hätte passieren sollen: Falsch manipuliert, menschliches Versagen, falsche Einschätzung oder eine Kombination von Ereignissen, die wegen der Seltenheit des Eintreffens nicht in den normalen Manuals vorgesehen waren. Ein Gefühl oder eine Tradition für nukleare Sicherheit fehlen nicht nur dem Volk, sondern auch den Experten.

Am 24. Februar 2022 geschah, nach zwei einschüchternden Corona-Jahren, das Unfassbare: Über siebzig Jahre mit lokalem Frieden, Wachstum, Handel und fernen Kriegen bricht auch im zivilisierten Wohlstands-Europa ein Angriffskrieg zwischen Nationalstaaten, Militärblöcken und Wirtschaftsregionen aus. Der russische Präsident Wladimir Putin liess seine schon lange positionierten Truppen die Ukrainische Hauptstadt Kiew und die Zugänge zum besetzten Krim und zum Kaspischen Meer im Süden nach den Taktiken des überwunden geglaubten Kalten Krieges angreifen. Auf ihrem Vorstoss besetzten Soldaten die Ruinen des vor 36 Jahren geborstenen Reaktors und des vor 22 Jahren abgeschalteten Atomkraftwerks Tschernobyl mit all dem noch dort liegenden Atommüll. Niemand auf offensivem Kriegspfad kann es sich leisten, Atomanlagen und  Atommüll einfach zu ignorieren. Nach nur acht Monaten haben wir uns daran gewöhnt: Die Ukraine und Russland können gleichzeitig Krieg führen, Atomkraftwerke beschiessen und das Leben und die Politik weiterführen. Die grösste Atommacht der Erde spricht offen über die Gefahr eines Einsatzes von taktischen Atomwaffen – ohne etwas dagegen zu unternehmen. Das konkrete Spiel mit atomarer Verseuchung ist politisch salonfähig geworden. Offenbar haben wir jede Angst vor möglichen Kriegsfolgen für die Anwohner von Atomanlagen verloren. Bilder von Menschen, die ihre Häuser verlassen mussten, blenden wir  aus. Das hat mit uns nichts zu tun. Bundespräsident Cassis hilft ja im vordersten Scheinwerferlicht beim Wiederaufbau mit. Krieg ist deshalb auch kein Thema für die Nagra: Sie ist nur für die Abarbeitung der aktuell vereinbarten Verfahren zuständig.

Verglichen mit der Schweiz ist die Ukraine ein riesiges Land. Das schweizerische Atomdreieck zwischen Gösgen SO, Leibstadt AG, Beznau/Würenlingen AG und neuerdings Stadel ZH dagegen ist winzig klein. Es bildet, zusammen mit dem Umland,  ein einziges militärisches Ziel. Die Reichweiten von Billigdrohnen sind heute praktisch unbegrenzt. Weder die Nagra noch die Schweizer Armee sind in der Lage, der ansässigen Bevölkerung oder den Atomanlagen eine angemessene Sicherung (Verteidigung) zu gewähren. Schutzräume und geschützte Spitäler fehlen. Sie wurden gegen Ende des letzten Jahrtausends voreilig und naiv liquidiert. Stellungen, Bunker, vorbereitete Sprengobjekte, ortsfeste Truppen, Vorratslager, Truppenübungen, alles Errungenschaften des Kalten Krieges, wurden in unserer friedlichen Zeit als überflüssig und wachstumshemmend eliminiert. Ersatz wurde von der Politik nie ins Auge gefasst. Ein paar Zäune und ein Abwart an der Eingangsschranke, wie sie auf den Skizzen der Oberflächenanlagen der Nagra angedeutet sind, genügen dazu auf jeden Fall nicht. Und so ist es am besten, wenn man gar nicht über das Thema spricht.

Sicherheit meint nicht nur Schutz bei Konflikten, Krieg und Sabotage, sondern auch die langfristige Sicherheit der Barrierewirkung des Gesteins. Die Aufgabe erinnert an den Dachdecker und das Flachdach: Die Frage ist nicht, ob es dicht ist, sondern wie lange. Und als ob sich auch der Untergrund als künftiger Partner zu Wort melden wollte: Seit anfangs September 2022 hat die Erde in der nördlichen Schweizer Grenzregion zwei Mal spürbar gebebt. Natürlich zerstören so ein paar Wackler am Küchentisch und ein wenig Klirren der Gläser keine Anlagen der Nagra. Aber sie zeigen: Das Atomdreieck liegt halt jetzt einmal im Alpenbogen. Afrika, die Alpen und der Jura drücken gegen den Schwarzwald. Die Rheinebene zwischen Schwarzwald und Vogesen sinkt langsam ab. Grosse Erdbeben sind selten, aber viele kleine Ereignisse  schwächen die Barrierewirkung auch. Und die erforderliche Zeit der Dichte des Deckels über dem Tiefenlager ist durch den Zerfall des Atommülls gegeben. Einmal eingelagert kann der Gang der Dinge später, lange nach der vereinbarten Verantwortlichkeit der Nagra, nicht mehr beeinflusst werden. Etwas diffus munkeln wir von einer Million Jahre. Irgend einmal spielt es ja dann keine Rolle mehr.


Für die Erteilung der Rahmenbewilligung listet Art. 13 KEG sieben konkrete Voraussetzungen auf. Für e) und f) sind der Bundesrat zuständig: e) die äussere Sicherheit der Schweiz nicht berührt wird; f) keine völkerrechtlichen Verpflichtungen entgegenstehen.

Wenn man das KEG in seiner vollen Pracht der Formulierungen liest, wird einem klar, weshalb der Gesetzgeber dem Gesuchsteller keinen Anspruch auf eine Bewilligung gewähren konnte. Für die Aussenpolitik der Schweiz, die Landesverteidigung und die völkerrechtlichen Verpflichtungen sind Bundesrat und Parlament allein zuständig. Die Nagra kann diese Verpflichtungen gar nicht erfüllen. Umso erstaunlicher ist es, wie sich der Bundesrat in der Sache Atommüll und Entsorgung vornehm zurückhält, und der Nagra, dem BFE und dem Ensi die Deutungshoheit und die Propaganda praktisch alleine überlässt.

Die Bundesrätinnen und Bundesräte müssen die Verantwortung übernehmen und endlich bestimmen, wie das Problem/Risiko des sich anhäufenden Atommülls zu lösen ist. Die Gesellschafter der Nagra haben lediglich Bewilligungen zum Betrieb von Atomanlagen und entsprechende Auflagen (z.B. zu Betrieb, Entsorgung und Rückbau). Die  Erfüllung der Auflagen sind sie der Bewilligungsbehörde noch schuldig. Diese brauchen wiederum neue Rahmenbewilligungen durch und unter Mitwirkung des Bundesrates. Gleichzeitig steigen die Risiken durch den Atommüll: Alterung der Behälter, mehr Menschen und weniger Platz, Temperaturerhöhung, Mangel an Energie, sich rasch ändernde völkerrechtliche Verpflichtungen, Kriegsgefahren. Alle hängen wir mit drin, in diesem nach dem zweiten Weltkrieg politisch begonnenen Atom- und Wachstumsschlamassel mit ständig zunehmenden Verflechtungen. Die äussere Sicherheit der Schweiz z.B. durch Erpressbarkeit wird  durch Atomanlagen sehr wohl negativ beeinflusst.

Der Bundesrat reagierte auf die Ereignisse am 24. Februar 2022 gewohnt unvorbereitet-zögerlich. Zuerst schauen, woher der Wind weht und was die Mehrheit der Bevölkerung in Umfragen meint. Ausser verbalen Verlautbarungen verzichtet er vorerst auf Sanktionen wegen Völkerrechtsverletzungen. Er bleibt im Stand-By-Modus „bewaffnet neutral“, wie er das seit dem Kalten Krieg immer gemacht hat.
Seine erfolgreichen Bemühungen um Einsitz im UNO-Sicherheitsrat, der gerade einmal mehr seine Unfähigkeit der Friedenserhaltung demonstriert hat, will der Bundesrat keinesfalls kompromittieren. Die Bevölkerung soll ruhig schlafen, Twitternachrichten und die Artikel in der Sonntagspresse lesen. Wenigstens bis die internationalen Partner, Freunde, Konzerne und Lobbyisten den Bundesrat zu neuen Justierungen, Anpassungen und Zahlungen drängen und später gegebenenfalls zwingen werden. Der Bundesrat reitet bezüglich der Neutralität auf einem toten Pferd. Opportunistische Politiker fordern im Einklang mit Deutschland mehr Geld für die Restarmee und die Zusammenarbeit mit der Nato. Landessicherheit ist offenbar nur noch zusammen mit Nachbarstaaten und unter dem Schirm der Atomwaffen der dominierenden, westlich-globalen Wirtschaftsmacht zu haben. Dabei nehmen wir in Kauf, dass die USA am meisten Militärstützpunkte (inklusive Müll und Atommüll) auf der Erde betreibt und an vielen Kriegen beteiligt ist. USA und China befinden sich wirtschaftlich im dritten Weltkrieg. Unsere angebliche Schutzmacht will nicht, dass sich Europa zusammen mit Russland und dessen Energie zu einer eigenständigen Wirtschaftsmacht entwickelt.

Der globalisierte Wohlstand der Schweiz macht diese anfällig für Erpressungen. Wer kann sich auf kommende, exzentrische Milliardäre als US-amerikanische Präsidenten verlassen? Auf Stabilität nach Geheimdienstmanier  und auf Lügen zu vertrauen ist naiv. China erzwingt gleichzeitig Wirtschaftswachstum durch Abhängigkeiten, Lockvogelangebote und reduziert die Individualität der Menschen und der Volksgruppen drastisch. Das Tragen von Masken und die Freude über  Medaillen an den olympischen Spielen in China haben wir gelernt. Sobald aber China den Krieg um Taiwan vom Zaume bricht, ist die Sache für Europa und die Schweiz fertig lustig. Die USA werden von ihren vermeintlichen Verbündeten, und sind sie noch so schwach, kompromisslos die Übernahme aller von ihnen diktierten Sanktionen gegen den Rest der Welt verlangen und durchsetzen.

Angesichts der zunehmenden Menge, der globalen Verteilung, der aktuellen Gefahren an der Erdoberfläche und der Kriegsgefahren ist es eine Frage der Zeit, bis irgendwo ein Unfall, Zwischenfall oder eine bewusste Verseuchung mit Atom passiert. Spätestens dann werden die Rufe nach der UNO, dem UNO-Sicherheitsrat und nach internationalen Gremien erfolgen. Diesen völkerrechtlichen Verpflichtungen werden wir zu folgen haben, wenn wir dazu überhaupt noch eigenständig in der Lage sind.

Internationale Kriterien, wie Tiefenlager für Atommüll auszusehen hätte, gibt es. Axel Mayer (https://www.kontextwochenzeitung.de/das-kleine-Land-und-der-radioaktive- abfall-8458.html) zitiert Kriterien der US Atomic Energy Commission für ein Lager für hochradioaktive Stoffe:

- Mindesttiefe für das Lager 3000 Meter
- In einer unbewohnten Region
- Ohne hohen Erhebungen in der Nähe
- Ohne Verbindungen zwischen den unteren Gesteinsschichten und dem Wassersystem an der Oberfläche
- Keine komplexen geologischen Strukturen (Falten, Spalten)
- Keine Erdbebengefahr
- Gewöhnliches Gestein, das wirtschaftlich bedeutungslos ist.

Für ein sicheres Lager müssten alle Bedingungen erfüllt sein. Vergleichen Sie bitte selbst einmal die geologische und geographische Situation am Hochrhein mit diesen Anforderungen. Für Stadel ZH trifft nichts davon zu. Und zu glauben, internationale Gremien würden bei der Beurteilung für die mustergültige Schweiz eine Ausnahme machen, scheint mir doch reichlich naiv. Es wird für uns keine atomaren Alleingänge mehr geben.


Nutzungskonflikte, kantonale Wachstumspotentiale und Energiefantasien des grünen Baudirektors verunmöglichen das Atommüll-Kombi-Tiefenlager Stadel ZH heute schon.

Wenn sie Atommüll für eine Million Jahre in tiefem Gestein sicher und dicht von der Erdoberfläche wegsperren möchten, müssen sie eine Region suchen, in der nicht künftig-bohrfähige Lebewesen in der Tiefe zu buddeln beginnen. Markieren können sie das Tiefenlager angesichts der Dauer seiner Gefährlichkeit nicht. Deshalb nennen die internationalen Kriterien die Stichworte unbewohnte Gegend und gewöhnliches Gestein, das wirtschaftlich bedeutungslos sein soll. Sehr vereinfacht fordert das KEG für die Erteilung der Rahmenbewilligung unter Art. 13 g): bei geologischen Tiefenlagern zudem, (dass) die Ergebnisse der erdwissenschaftlichen Untersuchungen die Eignung des Standortes bestätigen.

Der Schock der Nagra musste eigentlich gross gewesen sein, als vor rund 20 Jahren langsam Erkenntnisse durchsickerten: Öl-, Gas-, Kohle- und Erdwärme suchende Geologen fanden im Auftrag von privaten Firmen im kristallinen Gestein des nördlichen Mittellandes einen tiefen Permo-Karbon-Trog. In den sehr alten Sedimentfüllungen finden sich allerlei Spuren von nutzbaren Bodenschätzen. Das interessante Gebiet zieht sich von der Ajoie unter dem nördlichen Aargau und Zürich hindurch bis zum Randen und zum Bodensee. Der Opalinuston von Stadel ZH  befindet sich perfekt über ihm. In frühen Suchphasen der Nagra galt dies als Nutzungskonflikt und Ausschlusskriterium für ein Tiefenlager. Je enger die politische Auswahl mit dem Sachplan geologische Tiefenlager wurde, desto mehr mogelten sich die Nagra und das Ensi, zweifellos im Einklang mit dem BFE, an neue Sicherheiten an: Die Nagra verzichtete auf Bohrungen durch die ganze Tiefe des Sedimentgesteins bis in den kristallinen Untergrund. Oberhalb des Opalinustons fanden sich nur wenig Anzeichen für aktuell interessante Bodenschätze. Darunter wollte man es gar nicht mehr wissen. Auf tiefe Bohrungen wurde verzichtet. Und das Ensi? Am 25. März 2022 publizierte das Nuklearsicherheitsinspektorat des Bundes den Hintergrundartikel: Verringerung der Nutzungskonflikte bei der Tiefenlagerstandortwahl (https://www.ensi.ch). Neuerdings ist es für die Langzeitsicherheit des Atommülls nur noch notwendig, Nutzungskonflikte soweit als möglich zu vermeiden. Die entsprechende Gewissheit lässt sich mit einer theoretischen Beurteilung dokumentieren. Nichts mehr von Ausschlusskriterien und nichts mehr von konkreten Bohrungen in die Tiefe. Das Ensi akzeptiert die oberflächliche Untersuchung der Nagra als genügend. Nichts sehen, nichts hören, nichts riechen. Dafür schlägt das Ensi vor: Im Falle der hochradioaktiven Abfälle wird (.) ein zusätzlicher Schutz vorgeschrieben. So haben die Entsorgungspflichtigen den vollständigen Einschluss der hochaktiven Abfälle in den Tiefenlagerbehältern während mindestens tausend Jahren ab deren Einlagerung aufzuzeigen. Vorgesehen ist die Ausscheidung eines entsprechenden unterirdischen Schutzbereichs. Verfahren und Grundbucheinträge sind noch zu klären. Vorgesehen ist: Der Bund sorgt dafür, dass die Informationen (.) aufbewahrt werden und die Kenntnisse darüber erhalten bleiben. Er kann entsprechende Daten andern Staaten oder internationalen Organisationen mitteilen. Selbstverständlich ist alles in verschiedensten Berichten detailliert zusammengefasst und geregelt. Und trotzdem bin ich irgendwie erschüttert: Das, was wir hier von unserer obersten und unabhängigen Atom-Sicherheitsbehörde erleben, ist eine Lex Tiefenlager Stadel ZH. Zeitgerecht hat das Ensi die Nagra-BFE Standortwahl für das Jahrhundertprojekt weiss gewaschen und in bundesrätlich zu vollziehende Massnahmen umgegossen.  

Während die einen alles für das Jahrhundertprojekt der Nagra arrangieren, schreitet auch in Bundesbern und im Kanton Zürich die wirre Entwicklung unaufhaltsam weiter. Weder Raum für Alternativen noch Zeit zum Denken sind vorhanden. Also quetschen die Verantwortlichen halt alles zusammen in einen Alltag und vor allem in eine Zukunft, die beide nichts Gutes verheissen. Die komischen Strömungen und Entscheide der Ampelregierung von Deutschland (https://sahra-wagenknecht.de/de/article/3216.von-wegen-cool-und-öko-wie-die-grünen-wirtschaft-und-natur-zerstören.html) schwappen praktisch alternativlos in die Schweiz über. Natur-, Landschaft- und Umweltschutz (Vollzug) sind weitgehend Sache der Kantone.  Langfristige Konzessionen, Volksrechte und Vernunft können bei Bedarf ausgesetzt werden. Energie muss her, egal was es kostet und nützt.

De grüne Baudirektor des Kantons Zürich ist von Amtes sowohl mit dem Atommüll-Kombi-Tiefenlager in Stadel als auch mit der Zukunft des Kantons Zürich betraut. Martin Neukom will, anders als sein Vorgänger Markus Kägi, neu 120 riesige Windräder zur Stromgewinnung aufstellen lassen. Die NZZ vom 14.10.2022 titelte: Die Windstrategie des Kantons Zürich ist vor allem von einer Kraft getrieben: Wunschdenken. Damit aus politischen Gründen sieben Prozent des Zürcher Stroms mittels Windkraft produziert werden könnten, müssen die Mitsprachemöglichkeiten von Gemeinden beschnitten werden. Über den Netto-Stromertrag gibt es nur Mutmassungen, genannt Potentiale. Aber bei weiterem Wachstum muss alles zusammenramisiert werden, was irgendwie denkbar ist.

Windkraft in der Schweiz ist ökologisch und ökonomisch falsch. Sie hat sehr viele Nachteile, sie braucht selber Strom und rentiert nur, wenn sie subventioniert wird. Strom aus Windkraft fehlt entweder bei Windstille in Mitteleuropa oder sie ist im Überfluss vorhanden Sie muss, zusammen mit andern grünen Produkten für einen kontinuierlichen Verbrauch irgendwie und irgendwo gespeichert werden. Am 8.10.2022 berichtet die Schweiz am Wochenende ausführlich über ein vom BFE gefördertes Projekt: Erneuerbares Gas aus der Schweiz. Nutzung natürlicher Endlagerstätten zur Umwandlung und Speicherung von erneuerbarer Energie. Strom aus Sonne, Wind und Biomasse soll in Wasserstoff umgewandelt und zusammen mit Kohlendioxid in Erdlagerstätten gespeichert und bei Bedarf als Methan benutzt werden können. Geologen der Uni Bern beschreiben dafür besonders geeignete Erdschichten. Nördlich Lägern, dort wo der Atommüll für eine Million Jahre sicher schlummern soll, erweist sich als sehr gut geeignet. Was will ich damit sagen: Der schon früher erkannte Nutzungskonflikt ist nicht nur da, sondern er ist viel grösser als bisher gedacht. Neue Fördermethoden (Fracking) und die Kombination von Erdspeichern (Gaslager) erweiterten die Nutzungsmöglichkeiten innert Jahresfrist ganz enorm. Die Entwicklung hat das Jahrhundertprojekt der Nagra und das Gutachten des Ensi schon überholt, bevor die Propaganda dafür fertig losgelassen wurde. An sich kann es doch so nicht weitergehen. Ich befürchte: Es wird doch. Bis vielleicht irgendwo die Lichter ausgehen.


Die Reise zum sichersten Ort der Erde: Eine Präambel über den Umgang mit Problemen, die den Menschen überfordern

Die mir durch das Vorhandensein von Atommüll erzwungene Beschäftigung mit dem Thema in meiner Wohnregion hat mir viele Erkenntnisse und Begegnungen mit Menschen und Diskussionspartnern gebracht. Ihnen allen danke ich dafür.

Besonders eindrucksvoll waren Gespräche mit Edgar Hagen und Charles McCombie im Zusammenhang mit ihrem Film (https://www.diereisezumsicherstenortdererde.ch).
Im Film „Die Reise zum sichersten Ort der Erde“ wird einem klar: Atom, Strahlen und Atommüll sind ein globales Problem. Alle nutzen, militärisch oder friedlich, und hinterlassen Müll und Strahlen. Die Handhabung ist relativ sicher, es ist ja noch nicht so viel passiert. Oder aber, wir wissen es einfach nicht, weil wir die Gesetze von kleinen Dosen und die Zeiträume der Natur nicht kennen wollen.

Heiner Keller, Oberzeihen, 29. Oktober 2022
 
 
 

 
Lägern Nord und Würenlingen: Der politische Abschluss des Nünistein-Verfahrens / Heiner Keller, 7. Oktober 2022 / 16. Oktober 2022

Schweizer Atommüll und der Standortvorschlag der Nagra am 12. September 2022: Die neue Verpackungsanlage in Würenlingen AG und ein Kombi-Tiefenlager in Stadel ZH (Nördlich Lägern). Sie bilden den politischen Abschluss des Nünistein-Auswahl-Verfahrens gemäss Sachplan geologische Tiefenlager


Standortwahl, Kommunikation, Jahrhundertprojekt: Gegenüber der Nagra und der Politik muss man kritisch bleiben.

Die Nagra hat seit Monaten ihren Standort-Vorschlag für das Jahrhundertprojekt 500+ angekündigt. Schon vor den offiziellen Informationsveranstaltungen verdichteten sich Gerüchte für die Wahl der Region Nördlich Lägern. Am 10. September wurden die Grundeigentümer in Stadel ZH kurzfristig amtlich einbestellt und offiziell mit dem Resultat konfrontiert. Am 12. September 2022 vormittags gelangten die Medien in Bern und nachmittags die Behörden und Medien in Stadel ZH in den Genuss der Mitteilung zur Standortwahl Stadel ZH und Würenlingen AG. Die Medien- und Propagandastelle der Nagra berichtete: Umfangreiche Untersuchungen haben gezeigt: Nördlich Lägern ist der beste Standort mit den grössten Sicherheitsreserven. Die Qualität des Gesteins ist dort am höchsten. Dieser Standort wurde in Zusammenarbeit mit der Region und dem Kanton bestimmt. Nach gewohnter Bundes-Manier aus Corona-Zeiten verkündeten im fernen Bern eine Schar von Beamten, die Nagra-Experten und ein Regierungsrat (der Vorsitzende des Ausschusses der Kantone, AdK) den bislang noch ungeprüften Nagra-Vorschlag für das künftige Design der Schweizer Atommüll-Entsorgungsanlagen. Die ergebene Presse nahm zur Kenntnis: Die Geologie hat gesprochen. Im Opalinuston unter Stadel stehe die Zeit quasi still. Die Nagra wäre in der Beurteilung zu vorsichtig gewesen, als sie 2015 ausgerechnet Nördlich Lägern als ungeeigneten Standort aus dem damaligen Auswahlverfahren kippte. Offensichtlich hat die Nagra damals die Sprache der Geologie noch nicht so gut verstanden, wie sie es heute tut. Für alle Beteiligten zählten in der getroffenen Auswahl ausschliesslich Sicherheitsaspekte. Der Aargauer Regierungsrat doppelte in einer Medienmitteilung nach (Fricktal.info vom 14. September 2022): Dieser ausschliesslich auf Sicherheitsaspekten basierende Vorschlag ist aus Sicht des Regierungsrates aufgrund der zurzeit vorliegenden Daten nachvollziehbar.
 
Für die Öffentlichkeit sind Orientierungen auf Ende Oktober 2022 in Brugg/Windisch und Zweidlen-Glattfelden mit  Auftritten des ganzen Rösslispiels und der Lokalprominenz vorgesehen. Die Überraschung der Anwohner in Stadel und im nahen Ausland (Hohentengen D) war am 12. September 2022 aber so gross, dass durch das Bundesamt für Energie BFE ausserprogrammgemässe Orientierungen zur spontanen Glättung der Wogen durchgeführt werden mussten. Der Zürcher Baudirektor Martin Neukom dementierte öffentlich den Vorwurf, dass die Standortwahl mehr politisch als wissenschaftlich entschieden worden sei (Tagesanzeiger 12.09.2022). Martin Neukom nutzte die Gnade seiner späten Geburt: Er ist erst seit Mai 2019 im regierungsrätlichen Amt. Als Kantonsvertreter hat er verschiedene Rollen  zu erfüllen: In Sachen Axpo vertritt er den grössten Atommüll- Produzenten der Schweiz. Als Präsident des Ausschuss der Kantone (AdK) sorgt er dafür, dass die Nagra nichts vorschlägt, was Zürcher Kantonsinteressen zuwider laufen könnte. 2019 waren die politischen Entscheide (Sachplanverfahren, Nünistein-Verfahren, Verteilung der Lasten zwischen den Kantonen ZH und AG), die zur präsentierten Standortwahl führten, längst gefallen. Die aktuelle Propaganda-Blase von BFE und Nagra mit dem Jahrhundertprojekt ist lediglich ein medial ausgeschlachteter Programmteil im vereinbarten Planungsverfahren. Fragen sind total unerwünscht, weil sie die verbreitete Euphorie trüben könnten. Dabei ist doch wirklich fantastisch-auffällig-unauffällig, dass und wie sich die wissenschaftlich-geologisch-sicherheitsmässig beste Wahl von Stadel und Würenlingen ohne jede Differenz zur politisch gewollt-gefördert-erduldeten Entsorgung des vorhandenen Atommülls in der Schweiz präsentiert. Öffentlich einsehbare, nachvollziehbare Fakten, Kriterien, Berichte und internationale Vergleiche zum Jahrhundertprojekt liegen im Moment noch nicht vor. Die Interessierten müssen sich mit ein paar Erklärfolien der Nagra, die in kleinen Kreisen gezeigt werden, begnügen. Die echten Dokumente werden erst im jetzt noch zu erarbeitenden Rahmenbewilligungsgesuch erstellt und mittels des Echos aus dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI geprüft. Aufgrund der bisherigen Geschichte der Nagra darf und muss man kritisch bleiben. Viel wichtiger als die gebetsmühlenartig zitierten Sicherheiten und angeblich x-fach abgesicherten Geo-Wissenschaften sind Fakten, Zusammenhänge und Erlebnisse, die in offiziellen Texten nicht erwähnt und gewürdigt werden.


Wer schreibt, muss sich informieren, mehr denken und vergisst weniger. Blogs zum Thema seit 2010: www.g20.ch; www.textatelier.com.

Mich beschäftigen persönliche Erlebnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung der möglichen "Verbuddelung" des Atommülls in der Region Bözberg. Ich wohne und lebe im Perimeter der Standortregion Jura Ost, zahle hier Steuern und kenne Land und Leute. Die Geschichte, die Presse, die Entwicklung der Verantwortlichen, der Aufsichts- und Bewilligungsbehörden, der Lobbyisten, der lokalen Behörden, die Reaktionen der Bewohner, die aktuelle Veränderung der Gesellschaft und der Machtverhältnisse interessieren mich. Vordergründig verlockende Argumente für ein mögliches Tiefenlager unter dem Bözberg gibt es viele. Die Lage zwischen den Atomkraftwerken der Schweiz und dem Zwischenlager Würenlingen Zwilag ist zentral. Der 500 m unter der Berg-Oberfläche schlummernde Opalinuston liegt im aktuellen Trend der Nagra-Aktivitäten. Die Obrigkeitsgläubigkeit und Sanftmut der Bevölkerung sind bekannt. Die Aargauische Atomfreundlichkeit erweckt Zuversicht. Den Folgsamen aller Couleur, dem Kanton und auserwählten Gemeinden winken Gelder zur Senkung der Steuerfüsse und der Energiepreise für viele Jahrzehnte.

Zwanzig Gemeinden waren vor 2010 ziemlich willkürlich in einen Perimeter der möglichen Betroffenheit (Regionalkonferenz) aufgenommen worden. Durch Fusionen und die Ausweitung des Perimeters bis Waldshut-Hohentengen D hat sich die Zahl der Gemeinden inzwischen verändert. Geblieben ist die Willkür. Waldshut-Hohentengen liegt wesentlich näher am jetzt auserkorenen Standort Stadel als am Bözberg. Ihre Vertreter in der Regionalkonferenz wurden durch das Sachplanverfahren bis zum September 2022 bewusst in die Irre geführt und in Sicherheit gewiegt.

Dank meiner persönlichen Dokumente und der Texte bin ich heute in der Lage, die erlebte Entwicklung des Auswahlverfahrens und die Propaganda zum Jahrhundertprojekt  zu interpretieren und zu kommentieren.


Bundesrat Leuenbergers Sachplan geologische Tiefenlager: Das Verfahren zur politischen Lösung eines national unlösbaren Problems.

Das sprunghafte Vorgehen hat Tradition in der Geschichte der Nagra. Das war u.a. 2002 beim gescheiterten, damals besten, Standortvorschlag Wellenberg NW so. Nach der Ablehnung durch kantonale Abstimmungen entzogen Bundesrat und die Parlamente im Kernenergiegesetz (KEG) kurzerhand alle Entscheide über Atomanlagen der Hoheit der Kantone. Seither organisiert und delegiert das BFE die Planung, erteilt Bewilligungen, lehnt Einsprachen ab und lenkt die Verfahren. Natürlich nach den Weisungen des Bundesrates. Die Nagra richtete ihren Fokus neu auf den Opalinuston unter dem Zürcher Weinland.

Die am 12. September 2022 präsentierte Standortwahl der Nagra begann 2004 mit dem Sachplan geologische Tiefenlager. Bundesrat Leuenberger und der Kanton Zürich wollten kein Tiefenlager für Atommüll im Zürcher Weinland (Zürich Nordost). Dabei hielt die Nagra gerade diesen Standort (Benken ZH) für den sichersten. Was sie bei ihrer Sicherheits-Wahl allerdings zu wenig berücksichtigte, waren die politischen Absichten der Obrigkeit. Das Sachplanverfahren erzwang eine neue Evaluation und die Bewertung verschiedenster möglicher und unmöglicher Standorte für Tiefenlager durch die Nagra. Diese Phase 1 war eine Farce. Ziel war die Festlegung von drei möglichen Standortregionen für hochradioaktive Abfälle, die in der Folge weiter geologisch untersucht werden sollten. Die Ehre der Vorauswahl fiel den Regionen Bözberg (Jura-Ost), Nördlich Lägern und Zürich-Nordost (Weinland) in den Schoss. Das war der erste Schritt um auf wissenschaftlich-politischem Weg das Weinland aus dem Rennen zu eliminieren.

Für die sogenannte Partizipation der Bevölkerung bestimmte das BFE bezahlte Regionalkonferenzen und Sekretariate. Ausgewählt loyale und zum Schweigen verpflichtete Mitglieder durften in allen Regionen an der Platzierung und Gestaltung möglicher Oberflächenanlagen und hypothetisch-sozio-ökonomischen Berichten mitarbeiten. Für die Wissensvermittlung und die Bewusstseinsbildung in der lokalen Bevölkerung waren sie wie ein planerischer Witz, dem die Pointe fehlte. Klare Vorgaben oder eine demokratische Legitimation zur Vertretung von Gemeinden oder Anwohnern gab es rund um den Bözberg nicht. Dafür gab es ziemlich üppige Sitzungsgelder, viele Gerüchte und einen gewissen Neid. Letzterer war schon für das Scheitern des Wellenbergs mitverantwortlich: Es wussten - und es bekamen - nicht alle gleich viel.


Die Politik und das Nünistein-Verfahren: Der Kanton Zürich interveniert.

2015 entschied die Nagra ziemlich überraschend, die weiteren Untersuchungen (Oberflächen-Seismik und Bohrungen in den Opalinuston) nur noch am Bözberg und im Zürcher Weinland weiter zu führen. Die Verantwortlichen der Nagra verpassten der Region Nördlich Lägern eigenmächtig die geologisch begründete Beurteilung nicht geeignet: Der Opalinuston liege mit rund 900 m unter der Oberfläche zu tief. Die Anlage von Stollen sei mit hohen Risiken und natürlich Kosten behaftet. BFE und ENSI enthielten sich einer Beurteilung. Ich habe dies als abgekürztes Nünistein-Verfahren (www.g20.ch, 31.01.2015) beschrieben und kommentiert.

Die kostengünstige, einsame, aber auf den damaligen wissenschaftlichen Grundlagen basierende Nagra-Vorauswahl war, einmal mehr, mit den Absichten des Kantons Zürich nicht kompatibel. Zur Korrektur des Vorschlags trat der Ausschuss der Kantone (AdK) in Aktion. Die Kantone ZH und AG, vertreten durch ihre Baudirektoren, sind Mehrheitsaktionäre der Axpo die grössten Produzenten von Schweizer Atommüll. Sie stehen damit nicht nur als vereidigte Regierungsräte für das Wohl des Volkes und die Einhaltung der Gesetze, sondern auch für die korrekte Entsorgung von eigens produziertem Atommüll nach dem eidgenössischen KEG in der Pflicht. Regierungsräte darf man nicht unterschätzen. Sie wissen viel und haben grosses taktisches Geschick. Sonst wären sie nicht Regierungsräte geworden. Mit Sicherheit können sie Nünistein spielen. Sie wissen: Mit nur noch zwei Steinen ist das Spiel aus. Bezüglich des Tiefenlagers heisst das: Die taktischen Möglichkeiten für politische Deals sind beschränkt. Für das Zürcher Weinland, das der Regierungsrat Zürich ja nicht wollte, wäre das Risiko, die Auswahl gegenüber dem Bözberg aus Gründen der Sicherheit zu gewinnen, massiv gestiegen. Immerhin hatte die Nagra den Bözberg in einer früheren Auswahl sicherheitsmässig als schlechter geeignet taxiert und das Weinland bevorzugt. Aufgrund dieser Risiken war es denn explizit und logischerweise der Kanton Zürich, der in Absprache mit dem Kanton Aargau verlangte, dass Nördlich Lägern weiter in der Auswahl zu verbleiben habe. Zu diesem Zweck stellte der Regierungsrat des Kantons Zürich den atomkritischen Experten Thomas Flüeler als Bereichsleiter Kerntechnik bei der Baudirektion an. Er deckte im Auftrag des Kantons zu Handen des AdK Ungereimtheiten beim Nagra-Vorentscheid fest und begründete den weiteren Bedarf an Abklärungen für die Beurteilung des Standortes Nördlich Lägern. Gegenüber dem Bund setzten die Baudirektoren ihr Anliegen mit Stellungnahmen und Berichten locker durch. Ein von den Kantonen in Auftrag gegebenes Gutachten zeigte die bauliche Machbarkeit von Stollen auch im tiefer liegenden Opalinuston auf. AdK, Experten und das BFE brachten das Ensi dazu, Argumente und die weiteren Untersuchungen als richtig zu befinden. Das war eine politische Aktion der Regierungsräte. Sie diente der Rettung der kantonalen Absichten im Sachplan geologische Tiefenlager.

Der Entscheid für das Kombi-Tiefenlager in Stadel (Nördlich Lägern) und die neue Verpackungsanlage in Würenlingen je ein Rahmenbewilligungsgesuch auszuarbeiten, ist politisch brillant. Den beiden Regierungsräten von ZH und AG war  von Anfang an klar: Die Last der Entsorgung von Atommüll muss in einem politischen Kompromiss auf die beiden Kantone verteilt werden. Hätte man alles, drei der produzierenden Atomkraftwerke, das Zwilag, die Verpackungsanlage, zwei Tiefenlager und noch den Zürcher Fluglärm dem Kanton Aargau aufgebürdet, wären die Ausgewogenheit der Lösung und die Solidarität zwischen den Profiteuren in arge Schieflage geraten. Der Aargau hätte sich mit der einfachen Argumentation einer unfairen Lastenverteilung gewehrt und bei einer Referendumsabstimmung locker Mitläufer gefunden. Das Risiko, dass sich schweizerische Ressentiments gegen die Wirtschaftsmacht Zürich und die arroganten Zürcher in der Referendumsabstimmung gegen ein Tiefenlager im Bözberg durchgesetzt hätten, wollte man nicht eingehen. Zur Vermeidung eines erneuten politischen Scherbenhaufens musste der Kanton ZH auch etwas nehmen: Also wiesen die Trägerschaften (Bund, Kantone, Atommüll-Produzenten) die Nagra an, die Sicherheiten so zu gewichten, dass der politisch richtige Standortentscheid resultierte: Kombi-Tiefenlager nach Stadel, nahe an die Grenze zu AG/D, unter die Hauptanflugschneise von Kloten und angrenzend an die Kiesgrubenlandschaft von Weiach. Dafür musste sich der Aargau mit der Verpackungsanlage, einer neuen Atomanlage beim Zwilag in Würenlingen, anfreunden. Der politische Kompromiss hat nach heutigem Stand der Gesellschaft alle Chancen, das Sachplanverfahren inklusive Referendumsabstimmung bis zur Erteilung der politisch-papierenen Rahmenbewilligung zu bestehen. Staatsmännisch wird man sich geben, denn Irgendjemand muss den Atommüll ja nehmen. Das von Bundesrat Leuenberger gewählte Sachplanverfahren ist aufgegangen. Wenigstens bis heute.

Es ist wieder einmal eine Ironie der Geschichte, dass die Nagra mit Politik wieder auf den Pfad des tiefsten der untersuchten Opalinustone geführt wurde. Aus Kostengründen und unter Tempodruck der Verwaltung wollten die Atommüll-Produzenten gerade darauf verzichten. Und heute bleiben als sogenannte Sicherheitsreserven gerade die Vorteile der Tiefe und der höheren Überdeckung für die Aussage: Die Geologie hat gesprochen. Ob diese Tiefe und die Geringmächtigkeit der Lagerschichten nach internationalen Kriterien wirklich sicher sind, wird sich weisen. Wieso aber BFE und Nagra immer noch unbeirrt behaupten: Wir können an jedem der drei Standorte ein sicheres Tiefenlager bauen, bleibt mir schleierhaft. Im Bözberg rahmen die wasserführenden Gesteinsschichten ober- und unterhalb des Opalinustones diesen geradezu ein. Und die Bohrungen begannen auf dem Berg und nicht im Tal. Das Gestein ist und war viel exponierter als anderswo. Die namhaften früheren Kritiker hatten recht: Ein sicheres Tiefenlager war hier nie möglich. Die Nagra selber hatte bereits in den frühen 90er Jahren den Bözberg in die Kategorie "Reserveoption" relegiert. Damit die Nagra nicht von ihren bisherigen Stellungnahmen abweichen muss, gibt sie ihre neo-opportunistischen Haltungen halt nicht einfach auf. Und ein paar Nörgeler, die sich nicht überzeugen lassen, gibt es überall.

Die politischen Absichten liessen sich in Zwischenschritten und steter Propaganda gut verstecken. Vermittelt wird der Eindruck: Sicherheitsaspekte hätten quasi von selbst zur aktuellen Standortwahl geführt. Der Öffentlichkeit vermittelt man Geschichten und Plausibilität. Immerhin liegt der Opalinuston unter Stadel so tief, dass er zur Oberfläche die grösste Distanz aller drei Standorte hat. Die Sache ist allerdings so kompliziert, so verwirrend und unvorstellbar weit in der Zukunft liegend, dass Otto Normalverbraucher die Übersicht, das Interesse und die persönliche Betroffenheit sich nicht lebenslänglich erhalten kann. Alle Anwohner werden einmal erlahmen.

Wenn Regierungsrat Neukom (ZH) behauptet (Tagesanzeiger, 12.9.2022), das Ensi hätte für Nördlich Lägern interveniert, dann stimmt das so nicht: Das Ensi darf sich nicht in politische Entscheide einmischen bestätigte Felix Altdorfer, Leiter Aufsichtsbereich Entsorgung, an der Mitgliederversammlung von Pro Bözberg im September 2021. Das Ensi beurteilt nur, was vorgeschlagen wird. Und Experten, die ein Gutachten mit Schlussfolgerungen gegen die Absichten eines Auftraggebers schreiben, gibt es heute gar nicht mehr.


Die Doppelrolle der Kantone ZH, AG und die Axpo: Haben sich beide verzockt oder ist das einfach der ganz normale Wahnsinn der Gegenwart?

Konkrete, realisierbare und sichere Lösungen in Sachen Schweizer Atommüll werden durch Kommunikation, lange Verfahren und flexibel wechselnde Spielregeln bewusst aus der Verantwortung der heutigen Profiteure und den in der Pflicht stehenden Amtsträgern und Politikern verdrängt. Niemand von ihnen braucht zu befürchten, jemals den Abschluss des Tiefenlagers zu erleben oder gar für Versäumnisse oder Entscheide zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Die zwei Kantone ZH und AG haben die Aktienmehrheit an der Axpo. Sie verdienten und verdienen viel an der Energie- und Atommüllproduktion. Im Verwaltungsrat der AXPO sassen immer einflussreiche Regierungsräte. Die Axpo ist die einflussreichste AKW-Betreiberin. Sie gehört den Nordostschweizer Kantonen und hat während Jahrzehnten Millionen und Abermillionen an Dividenden in die Kassen gespült. Die Kantone wollen das Geld – und machen im Gegenzug, was die Axpo vorgab (Marcos Buser, WOZ 16/2019). 2019 wehrte sich die Aargauer Regierung gegen die bundesrätlich verordnete Erhöhung der Axpo-Abgaben in den Stilllegungsfonds (Aargauer Zeitung, 08.11.2019). Die Dividende fiel deshalb geringer aus. Der Regierungsrat hat die Axpo und insbesondere die alten Atomkraftwerke Beznau 1 und 2 gegen den Vollzug längst fälliger Auflagen (z.B. gegen die Aufheizung der Aare) verteidigt.

Unter dem Eindruck der Atomkatastrophe von Fukuschima entschied der Bundesrat, aus der Kernenergie auszusteigen. Für die Kantone stiegen die finanziellen Risiken. Die Kritik an personellen Verflechtungen von Regierungsräten wuchs.
2019 haben die Kantone den aus dem Jahre 1914 stammenden und bisher gültigen Gründungsvertrag aufgelöst und durch ein neues Vertragswerk ersetzt. Dieses besteht aus Statuten, Aktionärsbindungsvertrag und Eignerstrategie. Das vorgeschlagene Vertragswerk gibt der Axpo mehr unternehmerische Flexibilität im sich rasch entwickelnden Energiemarkt (Departement Bau, Verkehr und Umwelt, Regierungsrat Attiger, 10. Mai 2019). Die Regierungsräte haben sich aus dem Verwaltungsrat zurückgezogen. Neue Manager nutzen ihre unternehmerische Flexibilität um internationale Aktivitäten, Handel und Termingeschäfte zu verstärken. Das Nehmerische haben sie durch allerlei Beiträge aus der öffentlichen Hand weiterentwickelt. Das gut besuchte Axporama in Böttstein wurde 2020 vom Management geschlossen. 2022 wollte die Axpo mittels Gesuch auch einen Beitrag aus der geplanten Gasumlage der Deutschen Regierung. Das Ansinnen bestätigte die Beteiligung der Axpo am internationalen Gashandel und sorgte im Ausland für viel Kritik. Inside Paradeplatz (26. und 29.09 2022) berichtete: Axpo verprasst Steuergelder an der Fifth Avenue. Büros an teuerster Lage vor Trading mit Kohle, Gas, Strom liessen die zuständigen Politiker bisher kalt. Nun geraten sie in Panik. Einmal mehr versagten die Regierungsräte in der Kontrolle der Axpo. 2022 musste sich die Axpo mittels bundesrätlichem Notrecht und Eilverfahren unter einen 4 Milliarden schweren Energie-Rettungsschirm begeben. Die Bundesparlamentarier nickten den Entscheid durch. Die Kantone als Eigentümer waren weder rechtlich in der Lage noch politisch willens, der Axpo Kredite zu gewähren. Die beiden zuständigen Baudirektoren von Zürich und Aargau treffen sich mit den Axpo-Chefs zu einer ausserordentlichen Sitzung: Es gehe im Extremfall um die Frage, ob der Stromkonzern „zerschlagen“ werden soll. Soweit wird es wohl wegen der Dividenden nicht kommen. Und das Management wird sich auch nicht allzu sehr beeindrucken lassen. Schliesslich verdienen sie heute mit jeder Energie Geld, viel Geld.

Die Axpo ist selbstverständlich auch in der Nagra (als "Genossenschaftlerin") vertreten, somit an der Endlagersuche finanziell beteiligt und beeinflusst daher über Kosten- und Termindruck die "Strategien" der Nagra. Das lässt für die sichere Entsorgung des Atommülls im Jahrhundertprojekt und die Finanzierung wenig Gutes erahnen. Der Zürcher Regierungsrat Neukom outet sich als atom-kritisch, spielt aber seine grüne Rolle im vorgegebenen Theater der politischen Sachzwänge mit. Das erinnert sehr an die deutschen Grünen und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Neukom verbrüdert sich öffentlich mit der Nagra: Sie ist lernfähiger geworden (Tagesanzeiger, 12.09.2022). Die Entsorgung ist eine gesetzliche Verpflichtung der Atommüll-Produzenten, die eigentlich keiner Propaganda, des Lobes oder der Anbändelung bedarf. Im Korruptionsindex der OECD ist die Schweiz 2021 auf Rang 12 abgestiegen. Das bedeutet: Korruption ist andernorts augenfälliger und gewalttätiger. Wir sind zivilisierter, aber gemessen an unserer Selbsteinschätzung und den vielen Doppelrollen, nicht gut genug. Und der Trend geht in die falsche Richtung. Ich befürchte: Die Sorgen um den Atommüll werden späteren Generationen erhalten bleiben.

Auch als einfacher Bürger braucht man sich bei der Anprangerung von unzeitgemässen und kurzsichtigen Handlungsweisen aufgrund eingerosteter Verflechtungen keinerlei Hemmungen aufzuerlegen.


Die am 12. September 2022 kommunizierte Standortwahl ist intern offensichtlich schon 2019 gefallen

Im Blog vom 15.05.2020 (www.g20.ch) konstatierte ich: Sondierbohrung Bözberg 1 – Frischer Wind, Windstille, Aufwind. Ich konnte damals nicht ahnen, dass die gespürte Windstille mit der Abkehr der Nagra vom Bözberg zu tun hatte. Die Verantwortlichen läuteten damals die Reduktion der Untersuchungen unter Wahrung des Anscheins von Aktivitäten ein. Aufwind dagegen erhielten die Befürworter der Atomenergie. Die Diskrepanzen zwischen Wachstum und den Folgen der politisch-motivierten Energiewende wurden sichtbar. Die Europäische Union EU deklarierte die Atomenergie als klimaneutral. Sie empfahl deren nachhaltige Förderung durch grüne Kredite und negierte die Entsorgung. Und was der EU recht ist, findet über kurz oder lang auch in der Schweiz eine Anwendung.
 
Von 2015 bis 2020 musste die Landschaft rund um den Bözberg für technisch-geologische Untersuchungen der NAGRA herhalten. Im Winter 2015 vibrierten sechs Vibrationsfahrzeuge den Untergrund auf Waldstrassen, Flurwegen und Quartierstrassen öffentlichkeitswirksam ab. Der getätigte Aufwand war überschaubar, markierte aber überall Präsenz. Dreidimensionale digitale Daten aus Echosignalen sollten wissenschaftlich untermauern, dass die Standortregion Bözberg für ein Endlager des Schweizer Atommülls geeignet ist (Aargauer Zeitung, 2. Oktober 2015). Die Interpretation der Echodaten ist, diplomatisch formuliert, ausserordentlich schwierig. Ihre Mehrdeutigkeit ist Funktion der verwendeten Hard- und Software, der Erfahrung und dem aktuellen Weltbild der Auswerter sowie von den Eichmöglichkeiten mit Bohrungen. Auswertungen liegen in publizierter Form noch keine vor.

Bis Ende 2018 musste alles sehr schnell gehen. Die Zeit drängte. Die Amtszeit der charismatischen Bundesrätin Doris Leuthard, die mit der Angelegenheit Atomwirtschaft, Atommüll und Gesellschaft bestens vertraut und vernetzt war, neigte sich dem Ende zu. Einzig ihr politisches Gewicht garantierte, dass die zunehmend allein agierenden, isolierten und von Lobbyisten und Beamten abhängigen Bundesrätinnen und Bundesräte die umfangreichen Berichte und Anträge zum Abschluss der Etappe 2 des Sachplanverfahrens ohne Diskussion durch den Bundesrat brachten. Dieser hatte nichts weniger als die formale und sachliche Korrektheit der bisherigen Abklärungen zu bestätigen. Nur so konnte ab 2019 die Etappe 3, die finale Standortauswahl vorbehaltlos und mit geschwellter Brust in Angriff genommen werden. Mit dem letzten Erfolg der Bundesrätin in Sachen Atom (Atom-Doris) konnten Zehntausende von Berichtsseiten, Kommentaren, Stellungnahmen, Mitwirkungen und Protokollen von Versammlungen und Ausschüssen aus der Etappe 2 an einer einzigen Bundesratssitzung als genehmigt, dokumentiert und erledigt in den Archiven entsorgt werden.

Bis es so weit war, brauchte es 2017 noch einen offenkundigen Endspurt. Es begann die Vorbereitung der acht Baugesuche für Sondierbohrungen auf dem Bözberg.  Gegenüber der Politik und der Gesellschaft wurden wilde Entschlossenheit und Forscherdrang dokumentiert. Die Nagra schloss mit willigen Grundeigentümern Vorverträge ab und sagte Abgeltungen zu. Die Juristen des BFE nutzten die ganze Macht der Gesetzespraxis von Beurteilungsspielräumen und einschüchternden Hinweisen, um Einsprachen entweder als nicht berechtigt (zu weit vom Bohrloch entfernt) oder aus simplen Gründen einfach abzulehnen. Die Entscheide waren umfangreich begründet und eingeschrieben an Einsprecher versandt. Alle acht Bohrgesuche wurden bewilligt. Auf Verfahrensfehler, Fehler in den Gesuchen und inhaltliche Fragen wurde nicht eingegangen. Sorgen und Unmut wurden unter Papier erstickt. Gemeinden kuschten vornehm. Sie liessen ihre Einwohner im Stich: Man kann gegen den Bundesauftrag nichts machen. Oder wollte nicht.

2019, beim Start der Etappe 3 war die politische Entscheidung für die Standorte Würenlingen (Verpackungsanlage) und Stadel ZH (Kombi-Tiefenlager) intern offensichtlich bereits gefallen. Von den acht Bohrgesuchen am Bözberg wurden zwei Bohrungen ausgeführt. Die Nagra wusste offensichtlich genug für das weitere Vorgehen. Alles andere interessiert nicht mehr. Bevor die zweite Bohrung ihre Endtiefe erreicht hatte, berichtete die Kommunikationsabteilung der Nagra in der Medienmitteilung vom 3. November 2020: In allen drei Gebieten könnten wir ein sicheres Tiefenlager bauen. Was die Nagra bis jetzt gesehen hat, hat das bisherige Bild der Region bestätigt. 2021 liess die Nagra den Konjunktiv fallen und behauptete: Wir können in jeder der untersuchten Standortregionen ein sicheres Tiefenlager bauen. Wieso haben sie überhaupt auf dem Bözberg gebohrt?

Seit 2020 kommuniziert der Kanton Aargau regelmässig: Die Regierungsrat will kein Tiefenlager im Aargau. Was die Opposition natürlich freute und gleichzeitig als Verbündete träge machte. Am Sachplanverfahren will der Regierungsrat aber weiterhin konstruktiv mitarbeiten. Über Absprachen mit Zürich und die neue Verpackungsanlage in Würenlingen schwieg er sich immer aus. Es hatte ihn ja auch niemand gefragt.

Geladene Gäste, die Presse und Teile der Öffentlichkeit kamen am 9. April 2022 in den Genuss einer Bohrkern-Ausstellung der Nagra in Hausen AG. Dieser Medien- und Heimatkunde-Anlass zum Preis von rund 300‘000 Franken stellte sich als Propaganda und Ablenkungsmanöver heraus. Zeitgewinn bis zur offiziellen Bekanntgabe der Standortwahl. Warum in Hausen? Keinen Verdacht auf Nördlich Lägern lenken. Warum Ablenkung? Damit keine Fragen über eine Feier zum 50-jährigen Jubiläum der Nagra aufkommen. Und den Fokus auf das Gestein richten: Die Bohrkerne dokumentieren die Wissenschaftlichkeit der schon getroffenen Standortwahl.

Seit Jahren unterstützt die Nagra ihren Propaganda-Verein Forum Vera mit jährlich rund 190‘000 Franken. Vera steht für Wahrheit und Wissenschaft. Die Dienste des Vereins werden genutzt für die unbescholtene Vermittlung und die Organisation von Auftritten für die Nagra und das BFE. Am 24. August 2022 fand in Stadel ZH zusammen mit der Gemeinde, BFE und Nagra eine Forum Vera Orientierungsversammlung für Mitglieder und geladene Gäste statt. Die Nagra präsentierte erstmals konkrete Folien über zwei bis drei Millionen Kubikmeter Aushub und über mögliche Abgeltungen. Solche Informationen waren auf dem Bözberg nie ein Thema. Seit diesem Datum konnten wir ahnen: Der Bözberg ist aus der Standortwahl ausgeschieden.

Beim traditionellen Bergwerkfest in Herznach anfangs September 2022 war keine Spur mehr von der Nagra zu erkennen, weder mit pompösem "Informations"-Stand noch als generöse als Sponsorin. Ihre Propaganda-Gelder fliessen jetzt in andere Regionen.

U.a. aufgrund unserer Ankündigungen (https://boezbergblog.ch/die-wuerfel-fallen-wer-kommt-in-den-genuss-des-standortes-des-geologischen-tiefenlagers-fuer-radioaktiven-abfall/ vom 30.August 2022, www.g20.ch vom 3. und 11. September 2022) lüfteten Medien den Vorhang über das Nagra-Geheimnis vorzeitig. Als die Nagra den überraschten Grundeigentümern ihre Betroffenheit erstmals offiziell machte, standen schon die Beobachterkameras in der Nähe.

Das Forum Vera hat mit persönlichem Brief vom 12. September 2022 alle Bundesparlamentarier in Bern zu einem Nachtessen mit Vortrag eingeladen. Angekündigter Redner: Matthias Braun, der CEO der Nagra. Das ist offenbar die heute ganz normale Lobby-Arbeit des Angestellten der Atommüll-Produzenten, die zur Entsorgung ihrer Hinterlassenschaften verpflichtet sind.

Als es vor 50 Jahren noch eine Armee gab, die mehrtägige Manöver grosser Verbände durchführen konnte, kannten die Beübten ein ähnliches Verhalten vor Übungsabbruch. Geheimwort: Schaufel kehren. Man wusste ja, dass irgendwann die Übung abgebrochen wurde. Entscheidend war: Wann. Erfahrene Offiziere beobachteten das Verhalten der Schiedsrichter und der Übungsleiter. Gegen Ende der Übung machte sich im Feld Windstille bemerkbar: Die Rennleitung beschäftigte sich mit den Sammeln der Ergebnisse für die Übungsbesprechung. Ab der Geheimweisung "Schaufel kehren" taten wir nur noch so, als seien wir immer noch in der Übung. Wachen wurden verstärkt und heimlich begann der Abbau der Waffen und der Stellungen unter den Tarnnetzen. Meist ging die Sache gut. Nach Übungsabbruch war man schneller mit dem Aufräumen und genoss den früheren Feierabend mit dem guten Gefühl einer erfolgreichen kleinen Übung in der grossen Übung. Was wir allerdings nicht gemacht haben: Das Volk hingehalten und in die Irre geführt.


Erfahrungen vom Bözberg

Die wohlhabende und Corona-immunisierte Landbevölkerung rund um den Bözberg schweigt grossmehrheitlich zum Thema. Was kümmert sie angesichts der heutigen Ängste und Freuden ein Tiefenlager für Atommüll in frühestens 4 Jahrzehnten, wenn dieser heute schon in Sichtweite des Bözbergs in den Atomkaftwerken laufend vermehrt und im Zwilag in Würenlingen sauber und gewinnbringend ruht? Die Presse wirkt gelähmt. Sie ist zu abhängig von Politikern und der Wirtschaft. Und sie verliert laufend Abonnenten.

Die nebenamtlich tätigen Gemeinderäte sind mit stets wechselnden Alltagssorgen beschäftigt und mit überbordender Administration zugedeckt. Gerne akzeptieren sie, dass ihre Gemeinde-Verwaltungen die Tagesgeschäfte selbständig lösen. Sie entscheiden an Sitzungen, lassen sich allgemein verlautbaren und sind dankbar für Einladungen und Unterstützung. Für mehr reichen Zeit, Wille und Gegebenheiten nicht. Eigene Projekte, eine echte Zusammenarbeit mit Nachbarn oder ein vernünftiger Umgang mit Vorschlägen und Kritik bleiben auf der Strecke. Die rechtlichen Möglichkeiten und Verpflichtungen der Gemeindeautonomie (z.B. Planungshoheit der Gemeinden) werden nicht wahrgenommen.

Gelegentlich werden Absichten durch Volksentscheide oder Wahlen kurzfristig beeinflusst. Über störende Erlasse lässt man Gras wachsen. Immer mehr passen Bund und Kantone, Spielregeln, Gesetze und Richtlinien neuen Gegebenheiten und angeblichen Notzeiten an. Mehr Wachstum und die Bewahrung des Wohlstandes erfordern zunehmend abgekürzte Verfahren. Menschen, Kultur und -Kulturlandschaften in der Region verlieren an Bedeutung.

BFE und Nagra nutzen die Schwäche der Lokalpolitik und das Fehlen einer lebendigen Direktdemokratie. Kraft der Bundeskompetenz im KEG stellen sie Hilfen und Informationen zur Verfügung, organisieren Versammlungen und die Pseudo-Partizipation in den Regionalkonferenzen. Leider fehlt  sowohl den Mitgliedern als auch der Organisation die demokratische Legitimation. Hier sammeln sich mehrheitlich Befürworter, Neutrale und Profiteure. Auch ein paar von der Opposition sind zur Dokumentation der angeblichen Ausgewogenheit des Ensembles dabei. Die Musik aber, die spielt anderswo.

Kritiker traten als Einzelmasken in Vereinen oder im eigens gegründeten Verein Kein Atommüll im Bözberg (Kaib) auf. Letzterem kommt das Verdienst zu, dass er mit seinen Plakaten in der Landschaft und in Dörfern bis heute auf das Vorhaben und das Bestehen einer Opposition hinwies. Eine wirksame und organisierte Opposition der Gemeinden gegen eine Standortwahl Bözberg hätte es meiner Meinung nach nicht gegeben.

Ich habe nie begriffen, wer in welcher Rolle und welcher Absicht in der Sache Atommüll auf dem Bözberg tätig ist. Die Aufgaben und Mitglieder der Gremien des Standortauswahlverfahrens (BFE, 15. Juli 2022) listet auf fünf Seiten Namen und Organisationen auf, die in verschiedenen Funktionen und Rollen tätig sind. Die nicht fassbare Obrigkeit aus dem Sachplanverfahren ist der Bevölkerung kaum bekannt.
Die Gemeinden (Gemeinderäte), interessante Persönlichkeiten und die Opposition rund um den Bözberg wurden seit 2019 systematisch eingelullt und mit Geldern geködert. Der Jubel über die Nichtberücksichtigung des Bözbergs für ein Tiefenlager für Atommüll hielt sich in engen Grenzen. Der Kaib schrieb diesen Erfolg auf seine Fahnen. Und diese hielt er am 12.9.2022 sofort wieder vor die Kameras und Mikrophone in Stadel. Kein Nagra-Auftritt ohne Kaib. Er gehört zum Inventar des Verfahrens. Und überschätzt sich selbst.

Der grösste Verein auf dem Bözberg, Pro Bözberg (www.pro-bözberg.ch), hat mit seinem erfolgreichen Widerstand gegen Probebohrungen für einen gigantischen Steinbruch die Planungen so verzögert, dass das Vorhaben aufgrund von wirtschaftlichen Überlegungen aufgegeben wurde. Gegenüber dem Atommüll-Tiefenlager hielt er sich, im Wissen dass die Region nichts zu sagen hat, staatsmännisch zurück. Er sorgte für viel Information, entlarvte kritische Punkte und stellte Fragen. Er betonte wie alle andern auch: Die Sicherheit müsse ausschlaggebend sein. Ob er glaubt, dies sei heute der Fall, weiss ich nicht.

Über Sicherheiten im Zusammenhang mit Atommüll werde ich noch schreiben; Sicher sind nur der Tod und das Risiko.


Die Nagra ist nicht mehr, was sie einmal war. Glauben die neuen Manager und die Bundesbehörden wirklich daran, mit dem Jahrhundertprojekt Erfolg zu haben? Warum basiert ihre Standortwahl 2022 auf unvollständigen Interpretationen des KEG?

Die Gründung der Nagra vor 50 Jahren, in der Zeit des Kalten Krieges, fiel zusammen mit der Publikation des Club of Rome: Die Grenzen des Wachstums. Allen war damals klar: Auch die friedliche Nutzung der Atomenergie ist verbunden mit der Anhäufung von strahlend-gefährlichem Atommüll. Die Nagra sollte eine "Lösung" finden. Seit 1986 darf die Schweiz ihren Atommüll wegen internationaler Abkommen nicht mehr fassweise im Atlantik tiefenlagern (versenken). Die nicht wiederaufbereitbaren Schweizer Atomabfälle müssen vertragsgemäss aus den Aufbereitungsanlagen von Frankreich oder England wieder zurückgenommen werden (Nagra angebohrt, www.g20.ch). Gemäss KEG Art. 34 ist auch die Wiederaufbereitung im Grundsatz gesetzlich unterbunden. Daher häufen sich im Zwilag neben den hochaktiven (verglasten) Wiederaufbereitungsabfällen nun auch die höchstaktiven, ausgemusterten Brennelemente aus den Atomreaktoren. Im Zwilag wächst das Risiko exponentiell, weil weder Behälter noch Gebäude für lange Lager-Zeiten ausgelegt sind.

Seit 50 Jahren ist keine Lösung in Sicht. Für einen Aufwand von rund zwei Milliarden Franken gab es viele Versuche, Irrtümer und Winkelzüge. Die Misserfolge ans Licht zu zerren oder gar zu ergründen, wäre der Glaubwürdigkeit des Jahrhundertprojekts abträglich. Die Kantone und der Bund, die den Atommüll produzieren, davon finanziell profitieren, schieben das Geschäft auf die lange Bank. Die Veränderungen in der Gesellschaft gehen viel schneller als die Politik: Wertevorstellung, verengte Meinungskorridore, Meinungsterror, Zentralisierung, wucherndes Expertentum, Aushebelung von Verfassung und Gesetzen mittels Notrecht, Wachstum, Mangel an Zeit, Raum und Energie, militärische Aufrüstung.

Bei der Änderung des KEG 2005 haben Bundesrat und Parlament eine Entwicklung vorweggenommen, wie sie heute als normal und notwendig akzeptiert ist: Der Bund übernimmt immer mehr Aufgaben und verteilt Geld. Aktuell tut er das für die Bewirtschaftung von Corona-Krisen, für Rettungsschirme und Energie-Mangellagen, zur Erteilung von Baubewilligungen für Stromanlagen unter Aushebelung der Interessenabwägung und der Ausschaltung von Natur- und Landschaftsschutz. Das ist eine Beschneidung von Volksrechten und des Föderalismus, wie sie sich seit der Bundesverfassung 1848 oft bewährt hat. Die Trägheit des Souveräns, sein Gspüri und die Akzeptanz von Entscheiden (das Volk hat immer Recht) haben die Schweiz vor vielen, spontanen Mode-Ideen bewahrt.

Die alte Garde der Nagra, aus den Zeiten des Kalten Krieges ist, versehen mit viel Erfahrung und Arroganz, abgetreten oder abgetreten worden. Sie wurde ersetzt durch zeitgemässe Manager. Gut vernetzte, in flexibel-unverbindlicher Propaganda und Geschäftsführung ausgebildete CEO’s arbeiten mit allen Vorgesetzten, Bewilligungsbehörden, Kritikern und Lobbyisten zusammen. Faktisch sind sie nur ihren Aktionären, den Atommüll-Produzenten, hörig. Aber ich meine: Die gültigen Gesetze gelten, ihrem Wortlaut und Inhalt entsprechend, auch für sie.  

In Absprache mit BFE und Kantonen bestimmt die Nagra die Kommunikation. Die News für die Presse und die Öffentlichkeit folgen der Logik der Propaganda. Fortschritt wird laufend signalisiert. Ablenkende Details, wenig Fakten, keine nachvollziehbare Linie der Erkenntnisse, Auslassungen und Ignoranz gegenüber konkreten Fragen. Es passiert überhaupt nichts, was Fragen aufwirft, was sich wie ungelöste Probleme anhört oder was an Überraschungen denkbar wäre. Die Kommunikationsabteilungen haben den Lead übernommen und sie legen sich ihre Scheinwelt zurecht.

Bei der Rest-Armee und der Luftwaffe, die nur uns verteidigen soll, setzt der Bundesrat aktuell auf internationale Werte-, Verteidigungs- und Angriffsbündnisse. Beim risikobehafteten, langlebigen und für Mitteleuropa gefährlichen Atommüll setzt die Nagra auf eine reine Schweizer Lösung. Die Medienstelle Nagra (12.09.2022) beschreibt es so: Das Schweizer Kernenergiegesetz schreibt vor, dass der radioaktive Abfall der Schweiz in einem Tiefenlager entsorgt werden muss. Wenn sie das Gesetz selber lesen, stellen sie fest: Das schreibt vor der Nagra ist lediglich als Grundsatz formuliert. Das gleiche Gesetz (KEG, Art. 31) legt fest: Die Entsorgungspflicht ist erfüllt, wenn b) die Abfälle in eine ausländische Entsorgungsanlage verbracht worden sind. Wieso macht niemand die Nagra und deren CEO auf diese unvollständige und völlig unnötige Einschränkung durch eine unvollständige Zitierung der Gesetzesgrundlagen hin? Offensichtlich handelt er nach Weisungen seiner Vorgesetzten (via BFE), die das Hüten und Verbuddeln des Atommülls zu einem eigenen Geschäft unter den Rettungsschirmen des Bundes machen wollen. Und den sichersten Ort? Den wählt man halt aus drei ungeeigneten aber mit dem richtigen Verfahren ermittelten Standorten aus. Hätten die Nagra und ihr CEO alle Möglichkeiten für die erfolgreiche Entsorgung des Atommülls, die das KEG vorsieht, berücksichtigt, müssten sie das vorgelegte Geschwurbel über Sicherheiten und Sicherheitsreserven neu formulieren.

Auffällig ist, wie wenig bei Nagra- und BFE Kommunikationen von internationalen Kriterien und Standards (steht auch im KEG) die Rede ist. Mit Sicherheit steht nirgends, dass der politisch ausgewählte beste von drei nach internationalen Kriterien ungeeigneten Standorten wirklich der Nagra-Weisheit letzter Schluss sein soll. Die dreizehn Kriterien zur Schweizer Sicherheit gemäss Sachplan geologische Tiefenlager sind äusserst vage formuliert. Sie enthalten keine Ausschlusskriterien. Solche seien gar nicht nötig, argumentierte der Nagra-CEO kürzlich selbstentlarvend in einem TV-Interview (10 vor 10), denn man halte sich an "Eignungskriterien".

Internationale Kriterien gehen u.a. aus von Mindesttiefen für das Lager von 3000 Metern, von unbewohnten Regionen, keiner Erdbebengefahr, von einem Gestein, das wirtschaftlich bedeutungslos ist und ohne hohe Erhebungen in der Nähe. Schon der Blick aus dem Weltall zeigt: Alle Schweizer Standorte liegen im tektonisch aktiven Alpenbogen mit reaktivierbaren Verwerfungen und gelegentlichen Erdbeben. Dass die Nagra einem Standort Stadel nicht nur Sicherheit zubilligt, sondern noch von Sicherheitsreserven berichtet, braucht wohl keinen Kommentar. Stadel ist nach internationalen Kriterien kein Standort, der den Namen sicher verdient, einfach weil die andern in der Auswahl noch schlechter sind. Als Beispiel für unvollständige Daten nenne ich die Gas-, Kohle- und Wärmevorkommen im geotektonischen labilen Permokarbontrog, einer grabenartig angelegten, kilometermächtigen Struktur unter dem vorgeschlagenen Tiefenlager in Stadel ZH. Die Aufsichtsbehörde ENSI hat dazu eigens ihre Richtlinien über den Umgang mit Nutzungskonflikten im Untergrund so angepasst, dass die oberflächennahen Bohrungen der Nagra für die Beurteilung genügen. Angesichts der Energie-Mangellagen und der Energiepreise, muss die Bedeutung der Rohstoffvorkommen unter dem Tiefenlager in Stadel einer neuen Beurteilung unterzogen werden.

Auffällig ist die stiefmütterliche Behandlung der Fortschritte von Frankreich bei der Entsorgung seines Atommülls (www.g20.ch). Ich jedenfalls war nach dem Besuch der Oberflächenanlage, des bestehenden Lagers für kurzlebigen Atommüll und der Expedition in die Katakomben des Pilotlagers für hochaktiven Abfälle beeindruckt. Das Mindeste, was ich aufgrund des KEG erwarte, ist, dass die Nagra schlüssige Vergleiche (Sicherheiten Risiken, Kosten) zwischen unseren Schweizer Möglichkeiten und der Lösung in Frankreich vorlegt. Für mich ist das Ergebnis klar. Aber es gehört halt zur Propaganda, Unpassendes zu negieren und falsches immer wieder zu zitieren.

Der CEO der Nagra spielt seine Rolle als Wanderprediger gemäss seinem politischen Auftrag. Er präsentiert Geschichten (z.B. die Arbeitsfreude der Mitarbeiter), erklärt die Geologie (wie wir uns die Erde vorzustellen haben) und lässt weg, was nicht ins Jahrhundertprojekt passt (z.B. die reale Sicherheit von Mensch und Umwelt). Je mehr er seinen eigenen Vortrag hält, desto mehr glaubt er selber an den Erfolg. Gegen aussen wirkt er etwas blutleer und langweilig. Die innere Begeisterung fehlt, was angesichts der Mängel am Auswahlverfahren überhaupt nicht verwunderlich ist.

Weder die Geschichte der Nagra, ihre Misserfolge, noch ihre aktuellen Verlautbarungen sind dazu angetan, Glaubwürdigkeit aufzubauen. Gebetmühlenhaft preist sie ihre Arbeit als "systematisch und sicherheitsgerichtet". Fakt ist: Ohne Einwirkung kritischer Zeitgenossen, hätte die Schweiz jetzt ein unsicheres Endlager im Wellenberg, und die Nagra grübe Stollen unter dem tektonisch offenbar doch nicht ideal „ruhigen“ Zürcher Weinland, so wie sie dies im Jahr 2002 in kopfloser Selbstüberschätzung dem Bundesrat beantragt hatte. Angebliche "Lösungen" überdauerten bisher selten mehr als einige Jahre. Auf jeden Fall bei weitem nicht so lange, wie der in Würenlingen lagernde Atommüll vor sich hin strahlt.  

Auch im Opalinuston unter Stadel steht die Zeit nicht still. Die Entwicklung verläuft eben nur langsamer: So lag der Schweizer Opalinuston vor 175 Millionen Jahren irgendwo südlich der Sahara. Durch Hebungen und Senkungen zerbröselte er an der Oberfläche oder verschwand in der Tiefe. Und wenn er angebohrt wird, reagiert er anders, als wenn er ungestört warten kann. Wie er sich in Stadel verhalten wird, lässt sich frühestens nach der Erstellung eines Pilotlagers sagen.


Kein guter Start für das Jahrhundertprojekt: Der Krieg in der Ukraine und eine verpasste Chance für den Bundesrat

Zu Beginn der Propaganda-Offensive der Nagra für das Jahrhundertprojekt am 24. Februar 2022 (Newsletter) verbreitet der Bereichsleiter Kommunikation und Public Affairs  frohe Botschaften: Dieses Jahr steht ein besonderer Meilenstein beim Jahrhundertprojekt geologisches Tiefenlager bevor. Dass genau an diesem 24. Februar 2022 auch der Krieg in der Ukraine begann, war natürlich Pech. Aber irgendwie typisch für die bisherigen Misserfolge der Nagra. Seit Kriegsbeginn ist nichts mehr wie es bisher war. Und es wird nie mehr sein, wie wir es gewohnt waren. Ich meine, die Nagra hätte ihre Präsentation des Jahrhundertprojekts verschieben und neu überdenken müssen. Dazu hätte sie nicht einmal Notrecht beanspruchen müssen.

Der Krieg in der Ukraine zeigt u.a. die Risiken, die von Atomkraftanlagen und vom Atommüll für die nahe Bevölkerung ausgehen. Diese Realität findet offensichtlich bis heute keine Beachtung, weder bei den Regionalkonferenzen im Stand-by Modus, noch bei Gemeinde-, Regierungs- oder Bundesräten. Unsere abgerüstete Armee ist mit Sicherheit nicht in der Lage, die Bevölkerung um die bestehenden Atomanlagen und die Anlagen des Jahrhundertprojekts wirksam zu schützen. Daran ändern auch der eilends abgeschlossene Kauf der US-Kampfflugzeuge F-35 und die subtile aber stete Annäherung der Schweiz an die Nato wenig. Der Flieger ist nur im Nato-Verband unter dem Kommando der USA einsetzbar. Die laufende Aufrüstung und das Ducken unter den vermeintlichen Schutzschirm vergrössern die Kriegsgefahr und die Risiken für die Bevölkerung. Die Veränderungen seit dem Ukrainekrieg müssen auch in die Beurteilungen beim Jahrhundertprojekt einfliessen.

Ich weiss nicht, wann sich der Bundesrat seit 2018 letztmals mit dem Atommüll beschäftigt hat. Weil weder beim Rettungsschirm über die Axpo (September 2022) noch bei der Medienkonferenz zum Jahrhundertprojekt (12. September 2022) etwas aus bundesrätlichem Munde verlautete, nehme ich an: Die zuständige Behörde lässt ihre Untergebenen und die Verantwortlichen an der langen Leine einfach machen. Jedes Departement folgt seinen Zeitplänen, Programmen und der Tagesaktualität. Für Überlegungen und Zusammenarbeit bleibt da nicht mehr viel Platz. Das Thema Atommüll steht mit Sicherheit nicht oben auf einer gemeinsamen Traktandenliste. War es nicht so, dass der französische Präsident  Macron vor dem bundesrätlichen Kauf-Entscheid für den F-35 der Schweiz noch ein schriftliches Angebot machte? Für den allfälligen Kauf eines französischen Flugzeugs wurden dem Bundesrat Kompensationsgeschäfte und Unterstützung bei Anliegen gegenüber der EU in Aussicht gestellt. Das Angebot war offenbar gar nicht allen Departementen bekannt gemacht worden. Die zuständige Bundesrätin wollte den F-35. Mit der Kauffreigabe eilte es wegen Verfallsterminen des Angebots und der drohenden Volksinitiative gegen den Kauf. Aus Zeitgründen und weil sowieso unerwünscht, wurde das Angebot gar nicht ausgelotet. Hätte man Frankreich den Schweizer Atommüll zur Entsorgung in ihrem Tiefenlager übergeben können? Gegen Bezahlung natürlich. Die Sicherheit für die Bevölkerung wäre auf jeden Fall massivst gestiegen. Und die Kosten wären sicher günstiger gewesen. Aber auch die Nagra und das BFE wollten natürlich an ihrem schön eingefädelten Plan und der Fiktion der relativen Teilsicherheit der Verpackungsanlage in Würenlingen und dem Kombi-Tiefenlager in Stadel festhalten. Ich glaube, das Vorgehen war eine verpasste Chance für die Schweiz. Ich glaube nicht, dass die USA mit wirren Milliardären als künftige Präsidenten, die auf globalen Kriegs- und Wirtschaftspfaden wandeln, je etwas zur Erhaltung der Selbständigkeit der Schweiz oder von Europa unternehmen werden.


Was hat sich für mich mit dem Start des Nagra-Jahrhundertprojekts am 12.09.2022 geändert? Eigentlich nichts ausser mehr Ruhe und weniger Berieselung durch Propaganda

Die Distanz von Oberzeihen (Bözberg West) zu den geplanten Oberflächenanlagen hat sich von acht auf dreissig Kilometer vergrössert. Das ist nicht viel, aber besser als befürchtet. Alle Sicherheitsbedenken und die Vorbehalte gegenüber der Nagra und den Bewilligungsbehörden bleiben, ebenso wie die Risiken des Atommülls, unverändert bestehen. Es sind einfach jetzt andere Dörfer, die sich mit den Planungen, den wirren Organigrammen der Beteiligten und den auszuhandelnden Abgeltungen herumschlagen müssen. Zu entscheiden haben sie rechtlich gar nichts. Gegen die Übermacht des Geldes und der Gesetze ist nur mit viel Fantasie und Beharrungsvermögen anzukommen. Was bleibt, ist die an Gewissheit grenzende Zuversicht: Es wäre das erste Mal in bisher fünfzig Jahren Nagra, wenn sie am besten ihrer ausgewählten Standorte etwas wie ein Atommüll-Endlager realisieren könnte. Böttstein (Kristallin), Wellenberg (Mergel), und das Zürcher Weinland (Opalinuston) waren schon mal die „Besten“. Dieser (gegen jede Grammatikregel offenbar steigerungsfähige) Superlativ gebührt nun „Nördlich Lägern“ – auf Zusehen. Denn ich glaube auch in Stadel ZH nicht daran. Aber ich werde alle Newsletter aus der Szene abbestellen.

Wie die Schweiz und die Gesellschaft sich während der Jahrhundertprojekts entwickeln werden, lässt sich nicht voraussagen. Oskar Reck (1920-1996), der begnadete Journalist und Publizist, betonte in seinen Vorträgen immer wieder: Gut  organisierte Gemeinwesen entwickeln sich in der Regel nach 200 Jahren so weiter, dass sie neu organisiert werden müssen oder untergehen.

Im nächsten Jahr feiert die Eidgenossenschaft das 175-Jahr Jubiläum der Bundesverfassung. Und dann? Haben wir überhaupt noch Zeit für ein gemächliches Jahrhundertprojekt nach altem Fahrplan?




Bildlegende

Klima Kraftwerk Beznau, Das Atomkraftwerk der Axpo im August 2020. Der aus dem Jahre 1914 stammende Gründungsvertrag wurde von den Eigentümerkantonen 2019 aufgelöst. Neu wirken Manager mit mehr unternehmerischer Flexibilität und führen fortan internationale Geschäfte und globalen Handel. Die Dividenden gehen an die Kantone. Ende September musste sich die Axpo per Notrecht und Eilverfahren unter einen 4-Milliarden-Rettungsschirm des Bundes begeben. Ob das bereits eine Fingerübung für die Entsorgung des Atommülls ist, wird die Zukunft weisen.
 
Heiner Keller, Oberzeihen, 7. Oktober 2022
 
 


Atommüll: Game over auf dem Bözberg

Vor einer Woche habe ich über die eindeutigen Anzeichen für ein Endlager in Lägern Nord berichtet. Gestern hat die Nagra eine enge Waldlichtung in der Gemeinde Stadel ZH als auserwählt-besten Standort für die künftigen Oberflächenanlagen bestätigt. Ich bin unendlich erleichtert, dass für die Region Bözberg (Jura-Ost) der inszenierte Spuk um den Sachplan geologisches Tiefenlager ein Ende hat. Insbesondere das Laientheater unter der Regie des Bundesamtes für Energie mit den willkürlich ausgewählten, bezahlten und zur Verschwiegenheit verpflichteten Statisten, war ein ständiges Ärgernis. Ich gehe davon aus, dass die Tage der Proben und der Vorstellungen des Vereins Regionalkonferenz gezählt sind.

Was aber ist wirklich gewonnen? Die Distanz von Oberzeihen zu den geplanten Oberflächenanlagen hat sich von acht auf dreissig Kilometer vergrössert. Das ist nicht viel, aber besser als befürchtet. Alle Sicherheitsbedenken und die Vorbehalte gegenüber der Nagra und den Bewilligungsbehörden bleiben bestehen. Es sind einfach jetzt andere Leute, die sich mit den Planungen, den wirren Organigrammen der Beteiligten und den auszuhandelnden Abgeltungen herumschlagen müssen. Zu entscheiden haben sie nichts. Seit dem Nagra-Debakel gegen den Standort Wellenberg in der kantonalen Volksabstimmung hat der Bund die entsprechenden Gesetze zu seinen Gunsten geändert. Härten und Frustration in der Standortregion werden nicht zu vermeiden sein. Gegen die Übermacht des Geldes und der Gesetze ist nur mit viel Fantasie und Beharrungsvermögen anzukommen. Was bleibt ist die an Gewissheit grenzende Zuversicht: Es wäre das erste Mal in fünfzig Jahren, dass die Nagra am besten ihrer ausgewählten Standorte etwas wie ein sicheres Endlager realisieren könnte. Ich glaube auch in Stadel ZH nicht daran.

Heiner Keller, Oberzeihen, 11. September 2022
 

 
Atommüll Schweiz
 
Für den Monat September 2022 hat die Nagra einen Standortentscheid für die Vergrabung des Schweizer Atommülls in Aussicht gestellt. Als interessierter Steuerzahler in der möglichen Region Bözberg habe ich die Aktivitäten rund um die politischen Verfahren (Sachplan geologisches Tiefenlager) in den letzten Jahren erlebt und verfolgt. Die Anzeichen, dass die Würfel für die Region Lägern Nord gefallen sind, häufen sich (https://boezbergblog.ch). Was mit dem Schweizer Atommüll aber dereinst wirklich geschehen wird, ist so ungewiss wie eh und je. Die 50-jährige Geschichte der Nagra ist trotz immenser Propaganda nicht dazu angetan, Vertrauen zu gewinnen. Viele Flops reihen sich aneinander. Das wird auch beim jetzt verkündeten „Jahrhundertprojekt“ nicht anders sein: Zu viele Gegebenheiten werden einfach ignoriert oder ausgeblendet: Sowohl das Zürcher Weinland (Zürich Nordost), Lägern Nord und der Bözberg (Jura Ost) sind im internationalen Vergleich für ein Endlager für Atommüll ungeeignet. Der Regierungsrat des Kantons Aargau will den Atommüll, offenbar im politischen Einvernehmen mit dem Kanton Zürich, nicht im Kantonsgebiet. Er bevorzugt das uneingeschränkte Wachstum der Bevölkerung. Die militärische Sicherheit der oberirdischen Anlagen (und ihrer Umgebung) muss aufgrund der aktuellen Erfahrungen in der Ukraine völlig neu beurteilt und berücksichtigt werden. Darauf, dass die Opposition für immer eingeschlafen bleibt, sollte sich die Bewilligungsbehörde nicht verlassen.

Heiner Keller, Oberzeihen, 4. September 2022
 

 
Sondierbohrung Bözberg 1 - Frischer Wind, Windstille, Aufwind
 
Vor rund 10 Jahren erzeugte das Geld der Nagra kommunikativ frischen Wind rund um den Bözberg (https://www.g20.ch/pdf/frischer-Wind-ueber-endlager.pdf). Nach der ersten Irritation und etwas Widerstand aus der überrumpelten Bevölkerung herrscht heute in der Opposition absolute Windstille. Als neues Wahrzeichen des Bözbergs schraubt sich die Nagra-Sondierbohrung „Bözberg 1“ von hoch über dem Aaretal rund 1‘000 m in die Tiefe des Untergrunds. Unwidersprochen verbreitet die Nagra (Nationale Genossenschaft zur Lagerung radioaktiver Abfälle) ihre Standardbegründungen (z.B. Aargauer Zeitung, 1. Mai 2020) aus dem undemokratischen, mit organisatorischen, verfahrenstechnischen und fachlichen Mängeln behafteten „Sachplanverfahrens“ des Bundesrates. Die Gemeinderäte der Region hüllen sich vornehm in zustimmendes Schweigen. Niemand macht sich in der Öffentlichkeit Sorgen um das Ansehen und die Zukunftsaussichten des Bözbergs. Die Plakate des Vereins „Kaib“ (www.kaib.ch) stehen als stumme Schlagworte „Kein Atommüll im Bözberg“ in der Landschaft und in Siedlungen. Ewig gleich, ohne Überraschungen gehören sie zur Region. Sie erinnern Bewohner und Gäste dauernd an das beabsichtigte Vorhaben. Der Verein gehört immer mehr als domestiziert-anerkannte Opposition zum organisatorischen Inventar des offiziellen „Sachplanverfahrens“. Gewöhnung, berechenbare Fantasielosigkeit, leblose Plakate und das Schweigen der Bevölkerung zementieren den Ruf des Bözbergs als politisch pflegeleichte „Location“ für die anvisierte „Verlochung“ des Schweizer Atommülls, angeblich in etwa 40 Jahren.
 
Windstille herrscht immer dann, wenn der Wind dreht. Es ist sehr viel passiert seit 2011. Die Saat der „Kommunikation“ ist wunderbar aufgegangen. Gemeinderäte sind mit Fusionen, internen Telefonkonferenzen und der Abarbeitung der Tagesgeschäfte vollkommen ausgelastet. Sie können sich nicht auch noch mit der eigenständigen Zusammenarbeit, dem Ansehen der Region oder gar mit aktuellen und künftigen Bedrohungslagen durch den Atommüll beschäftigen. Zumal sie im „Sachplanverfahren“ überhaupt keine Kompetenzen haben. Der notrechtliche Lockdown von Gesellschaft und Wirtschaft beschleunigt die absehbaren Tendenzen: Kuscheln vor Experten, Geld nehmen, wo man kann, Eigeninitiative verhindern, Verantwortung bis zur Verantwortungslosigkeit aufteilen, „Risikogruppen“ und Abweichler identifizieren, sie nach Möglichkeit durch Ämter und Aufträge wieder ins System einzufügen (Domestikation), oder sie zu isolieren und langsam auszuhungern. Dies gelingt den Kommunikationsabteilungen der Nagra, dem Bundesamt für Energie (BFE), der beauftragten Regionalkonferenz Jura-Ost (www.jura-ost.ch) immer erfolgreicher: Kritiker gehören meist sowieso der Risikogruppe an. Sie sind längst gestorben, bevor irgendwelche Stollen unter dem Bözberg die Strahlen des vorhandenen Atommülls von der Gesellschaft fernhalten sollen. Beides ist eine Frage der Zeit: Auch Atommüll strahlt irgendwann nicht mehr. Nur dauert letzteres gut 1 Million Jahre, was ungefähr der dem Fünffachen dem bisherigen Lebensgeschichte des Homo sapiens entspricht.
 
Angesichts dieser Zahlen versteht man, dass Gemeinderäte und Kritiker keinen eigenen Wind mehr erzeugen. Der Lockdown des Bundesrats zeigt der Region, wie es ist, wenn man nichts mehr zu sagen hat, wenn sich ständig alles ändert und wenn all denen, die eine gute Lobby haben, bisher nicht vorhandene Gelder aus der öffentlichen Hand angeboten und aufgedrängt werden. Wer das bezahlen soll, wird, wie bei der „Entsorgung“ des Atommülls, die Zukunft weisen. Vorläufig ist Geld da. Das Büro, die Experten und die willkürlich handverlesen ausgewählten Mitglieder (ohne Auftrag, ohne Verantwortung, ohne demokratischen Auftrag) der Regionalkonferenz Jura-Ost werden reichlich für ihr reglementiert-wohlwollendes Stillhalten honoriert. Die Nagra fördert ganz offiziell eigene Propaganda-Vereine (z.B. Forum Vera) für Opinion Leaders, Netzwerker, Opportunisten mit Geld und Argumenten, die laufend an den Zeitgeist angepasst werden. Wo das nicht genügt, oder wo die „Bindung“ (Kundentreue) gefestigt werden soll, bietet die Nagra geladenen Gästen Reisen (z.B. nach Schweden oder Finnland) an. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes darf die Bevölkerung die Namen der Eingeladenen natürlich nicht wissen. Aber es waren etliche, die sich dank ihrer Funktion in der dörflichen Gesellschaft der Glückseeligen (z.B. Gemeinderäte) das sachlich nutzlose Reisli in die kristallin-gastfreundliche Landschaft des Nordens gönnten. Und die Presse? Die ist inzwischen so totgespart, dass sie sich keine eigenen Reporter oder gar Meinungen, die vom Mainstream abweichen und potentiellen Inserenten aus dem Umfeld der Energie vergraulen könnten, leisten kann. Dem wirtschaftlichen Zwang gehorchend werden Medienmitteilungen und Studien unkommentiert übernommen. Eine Einordnung in das internationale Geschehen, ein Vergleich mit Gesetzen, Kriterien und Zielen und das Aufzeigen von Zusammenhängen, Abhängigkeiten und Konflikten unterbleiben vollkommen. Und so kann die Nagra ihr verfahrenskonformes Bohrprogramm rund um den Bözberg nicht nur ohne Opposition durchführen, sondern auch noch für ihr Image als kompetente und auskunftsfreudige Organisation nutzen. Die Infozentren der Bohrplätze Bözberg 1 und Bözberg 2 bieten nach dem Lockdown willkommene Attraktionen für die regionale Naherholung. Die Gemeinde Bözberg, die sich vor Jahren vehement für die Änderung des Namens der Standortregion „Bözberg“ in „Jura-Ost“ eingesetzt hat, wehrt sich offensichtlich nicht mehr.

Die Atomkraftwerke und damit die von ihnen beauftragte Nagra spüren im Moment sehr viel Aufwind. Das bisherige Wachstum, auf das die Wirtschaft und ihre Politiker nach der Corona-Krise wieder hoffen, macht die verbleibenden drei Kraftwerke rund um den Bözberg für die Versorgungssicherheit der Schweiz praktisch unentbehrlich. Ihre wirtschaftliche und politische Macht und die Propaganda wirken: Der Bund (Bundesamt für Energie und Bundesrat) musste 2019 vor Bundesgericht klein beigeben, als sie die Abgaben der Atomkraftwerke für die „Entsorgung“ des Atommülls erhöhen wollten. Im Jahresbericht 2019 eines Atomkraftwerks steht unverblümt: „„Wissenschaftliche Fakten, ökonomische Realitäten und physikalische Gesetzmässigkeiten sind keine Fragen des Willens, sondern bilden die Grundlage für politische Entscheide. Die Kommunikation sollte den Blick für dieses Ganze, für das Energietrilemma, öffnen, um zu übergeordneten Lösungen zu gelangen – der Wille, diese umzusetzen, kommt dann von allein.“ Das ist nicht mehr Windstille, sondern das ist Aufwind. Ein paar bestehende Unsicherheiten und Ungereimtheiten werden sich im Laufe der Zeit auch noch kommunikativ kaschieren lassen: Atomkraftwerke liefern beispielsweise radioaktive Betriebsabfälle „in Bitumen eingebunden“ ins Zwischenlager (Zwilag) nach Würenlingen. Es ist bekannt, dass bituminierte Abfälle das grösste Problem für die unterirdische Lagerung in Tongesteinen darstellen. Sie sind brennbar, quellen in Wasser und sondern Gas ab. Sie dürften daher keinesfalls in ein Endlager (https://www.nuclearwaste.info/abfallkonditionierung-in-bitumen-asn-sagt-nein/), weil sie schon während des Einlagerungsbetriebs zu gravierenden Störfällen (Bränden) führen können. Nach dem Verschluss des Lagers kann die sicherheitsrelevante Einschlusswirkung (Barriere) des Gesteins infolge zunehmenden Gas- und Quelldrucks des nuklearen Mülls reduziert und damit die Langzeitsicherheit beeinträchtigt werden. Dies wiederum birgt die Gefahr einer vorzeitigen Verstrahlung der Landschaft und der Lebewesen.
 
Der Atommüll und die Gesellschaft haben noch einen weiten und teuren Weg der „Entsorgung“ vor sich. Die Corona-Krise zeigt, wie konkret formulierte Vorbereitungen missachtet werden, wie die Verantwortung bis zur Verantwortungslosigkeit aufgeteilt wird und wie rasch der Bundesrat beim ersten Auftreten eines Schlechtwetterfalls dramatisch mit Notrecht reagieren musste. Die Palette von möglichen „Krisen“ ist in Zusammenhang mit Atommüll wesentlich umfangreicher und die Auswirkungen für die Region sind erheblich „nachhaltiger“. Würde Deutschland für die Flüchtlinge aus der Schweiz wohl die Grenzen öffnen?
 
Der Aufwind und die zwischen Kraftwerken, BFE und ENSI (Aufsichtsbehörde) abgesprochene Kommunikation („wording“) erfasst und beflügelt natürlich auch die Nagra und ihre klinisch-harmlosen Bohrstellen in den Opalinuston unter dem Bözberg. Natürlich ist es nicht an ihr, sich, ihre Planung und ihre Absichten schlecht zu reden. Wer aber soll diese „Aufgaben“ für eine sachgerechte und demokratische Entscheidung über den Umgang mit dem gefährlichen Atommüll übernehmen? Wer sorgt dafür, dass die Steuerzahler und die Hausbesitzer für die zunehmende Unwirtlichkeit und Belastung der Region abgegolten werden? Würenlingen erhält für das Zwilag Abgeltungen, obwohl die Gebäude und die Zufahrten weitab vom Siedlungsgebiet liegen. Warum ist das so? Weil es Widerstand gab. Auf dem Bözberg waren nie entsprechender Widerstand und Forderungen wirksam. Diese Tatsache ist unabhängig von der Windrichtung. Die „Alten“ resignieren vor der Übermacht der Propaganda. Den Kindern und ihren Eltern bringt der Bundesrat jetzt die neue Corona-Disziplin bei. Damit sind sie dann vorbereitet, wenn sie die „Entsorgung“ berappen müssen.
 
Nach heutigen Kenntnissen und den Erfahrungen der bisherigen toleriert-gewollten Erfolglosigkeit der Nagra (https://www.g20.ch/pdf/Kommentar-Nachdruck-Broschuere-1982-NAGRA-angebohrt_AL_22-1-18.pdf) kann man sich zusammenreimen, wie es weitergeht: Der Aargau belegt die Pole-Position im Auswahlverfahren für das Rahmenbewilligungsgesuch (Abschluss Phase 3 des Sachplanverfahrens). Würenlingen, Villigen, Remigen, Riniken und Bözberg werden in etwa zwei Jahren die „auserwählte“ Standortregion sein. Alles was jetzt noch passiert ist „Beilage“ mit millionenschwerer Augenwischerei: Egal, welche Ergebnisse aus den Bohrungen kommen, sie werden die (vorsorglich schon „sicherheitsanalytisch“ ermittelte) theoretische „Sicherheit“ bestätigen. Das ENSI wird still nicken und durchwinken. Die Losung heisst: Rahmenbewilligung auf Teufel komm raus, koste es was es wolle.
 
In ca. 20 Jahren und nach Ausgaben von mehreren Milliarden ist dann wohl vorzeitig Schluss mit der Schweizer Traum-Lösung eines Endlagers im Opalinuston des Bözbergs. Die Siedlungsdichte und die Wachstumsabsichten des Regierungsrates lassen doch keine sicher-verteidigbaren „Oberflächenanlagen“ zu: Neue nukleare Hochrisiko-Anlage für die Umpackung des Strahlungsmülls in Lagerbehälter, Zugänge zu Stollen, Zufahrten und Deponien. Für den Umgang mit dem langlebigen Atommüll (HAA-Abfälle) fehlen Know-How (im Spital würde man von zu geringen Fallzahlen sprechen), Karriereaussichten und Geld. Selbst die ewig jungen Atomkraftwerke der Schweiz müssen einmal dem Alter erliegen und abgeschaltet werden. Dann bleiben nur noch die Sorgen der Entsorgung.
 
Die Realität der Corona-Krise zeigt doch eindrücklich, wie wenig autonom die Schweiz agieren kann. Wir sind nicht einmal in der Lage, simple Mundmasken oder Medikamente für die Bevölkerung herzustellen. Aber beim Atommüll tun wir so, als gäbe es einen eigenen Schweizer Weg. Wissen Sie, wer die Bohrungen auf dem Bözberg ausführt? Es sind Engländer, die über die Gerätschaften und die Erfahrungen verfügen, die in der Schweiz fehlen. Bei den Erntehelfern für die Landwirtschaft und den polnischen Pflegerinnen für Seniorenbetreuung zu Hause wird deren Not als billige Arbeitskräfte ausgenützt. Für die Entsorgung von Atommüll braucht es teure ausländische Firmen und Wanderarbeiter.
 
Es lohnt sich der Blick nach Frankreich (https://g20.ch/pdf/Atommuell-Endlager-Boezberg-2019_Studienreise-nach-Frankreich-bringt-neue-Erkenntnisse_08-09-
19.pdf). Wenn Sie vergleichen, wird rasch klar und heute schon absehbar: Weder unter dem Bözberg noch irgendwo sonst in der Nordschweiz ist ein europäischsicheres Atommüll-Endlager realisierbar. Für den kurzlebigen Atommüll (SMA-Abfall), der „nur“ wenige Hundert Jahre abgeschirmt werden muss, gibt es andere Möglichkeiten als das Endlager in der Tiefe.

15.05.2020, Heiner Keller

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Bildlegende
Sondierbohrung Bözberg 1. Englische Bohrfirma betreibt das neueste Wahrzeichen
des Bözbergs im Auftrag der Nagra. 14.05.2020.
 
 
Sondierbohrung Bözberg 1. Englische Bohrfirma betreibt das neueste Wahrzeichen des Bözbergs im Auftrag der Nagra. 14.05.2020.



























 

Leserbrief

Ärgernis Atomkraftwerk Beznau

Im Artikel „Klimawandel bremst AKW-Betreiber“ schreibt die AZ (29.10.2019), dass 40‘000 Liter Kühlwasser (pro Stunde) aus dem Atomkraftwerk Beznau für die Temperaturerhöhung der Wassertemperatur der Aare zwischen Brugg und Felsenau verantwortlich seien. Autor und Korrektoren übersehen dabei:  40‘000 Liter erwärmtes Wasser werden pro Sekunde eingeleitet (bei Volllast). Aber: Noch mehr Wärme als das Atomkraftwerk trägt die Limmat in die Aare.

Die jüngste Klimaerwärmung findet vor allem in Städten und überbauten Gebieten statt (Wärmeinseln). Viele Flüsse wären sich so auf, dass die Wassertemperatur im Sommer über den in der Gewässerschutzverordnung definierten Wert von 25°C ansteigt  (https://www.admin.ch/ch/d/sr/c814201.html). Der Kanton Zürich dürfte deshalb im Sommer den Zürichsee gar nicht mehr in die Limmat einleiten. Die Limmat heizt die Aare auf, der Rhein in Koblenz kühlt das Wasser wieder etwas ab, bevor die hohe Lufttemperatur auch den Rhein über 25°C erwärmt.

Das Uraltkraftwerk Beznau mit den Hauptaktionären Zürich und Aargau, ist ein Fossil aus einer anderen Zeit. Jahrelang haben die beiden Kantone für den Betrieb eigene „Grenzwerte“ für Wassertemperaturen bewilligt, toleriert und gegen alle Kritiken verteidigt. Das geht jetzt nicht mehr, weil wegen der Endlagerung des Atommülls alle Kompetenzen rund um Atomanlagen von den Kantonen an den Bund übergingen. Jetzt kann halt nicht mehr jeder Kanton wursteln und auch das Atomkraftwerk Beznau muss sich, wie alle andern auch, an Bundesvorgaben halten. Die Aussage des Sprechers „man halte dies für unverhältnismässig“ beruht offensichtlich auf dem Baugesetz des Kantons Aargau. Alle Massnahmen der „Raumentwicklung“ (inklusive Schutz) müssen verhältnismässig sein. Es ist logisch, dass der Kanton dem Atomkraftwerk, an dem er massgeblich beteiligt ist, keine unverhältnismässigen Auflagen erteilte. Die Auswirkungen dieser Praxis auf die Landschaft, auf die Qualität des Trinkwassers, die Lebensräume, Pflanzen und Tiere sind unübersehbar. Und dann ist da noch das ungelöste Problem des sich mehrenden Atommülls. Man darf gespannt sein, was dem Klüngel von Produzenten, Bewilligungs-, Aufsichts- und PR-Gremien dazu noch alles in den Sinn kommt. Auf jeden Fall wird es kaum mit „verhältnismässigen“ Lösungen abgehen.

Heiner Keller, Oberzeihen
29. Oktober 2019



Atommüll Endlager Bözberg


Profitieren Gemeinden von Nagra-Geldern?

Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) präsentiert auf ihrer Homepage  www.nagra.ch ihre finanziellen Zuwendungen.
Im Jahr 2018 bezahlte die Nagra im Rahmen des Sachplanverfahrens 1'952'782 CHF für Personalkosten des Bundesamtes für Energie (Bewilligungsbehörde). 152'787 CHF erhielten Kantone als Abgeltung für ihre Experten. 1'204'000 CHF gingen als finanzielle Unterstützung an Standortkantone und -gemeinden und 861’922 CHF für die Gremien der regionalen Partizipation.

Die verschlungenen Pfade des Geldsegens, die unklaren Organigramme und Zuständigkeiten werfen Fragen auf: Wofür erhalten welche Gemeinden Geld? Werden damit auch Wertminderungen von Liegenschaften (z.B. während Sondierbohrungen) abgegolten? Gibt es dafür Vereinbarungen über Höhe und zeitliche Dauer? Haben Gemeinden Anspruch auf „Zuwendungen“?

Standortgemeinden haben in der Regel auch einen Vertreter oder eine Vertreterin in der Regionalkonferenz. Im Zusammenhang mit der Geldverteilerei würde mich interessieren: Haben die Vertreter der Gemeinden einen definierten Auftrag der Gemeinde/Gemeindeversammlung oder sind sie einfach „Beisitzer“? Sind sie im Rahmen des Gemeinderatsmandats entlöhnt? Wie wird im konkreten Fall mit den Sitzungsgeldern der Regionalkonferenz verfahren? Wie wird die Informationpflicht sichergestellt?
In Sachen Atommüll haben die Steuerzahler und Einwohner das Recht auf Klarheit und Transparenz. Die Gemeinderäte werden eingeladen, an den kommenden Gemeindeversammlungen (Budget) zu informieren und gegebenenfalls entsprechende Reglemente und Vorgehensabsichten darzulegen.

Heiner Keller
9. Oktober 2019


 
Nagra Sondierbohrung Zeihen

Eidgenossenschaft putzt 142 Zeiher Einsprachen weg

Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) hat es sich einfach gemacht: Um den vorgesehenen Bohrplatz Eichwald wurde ein Kreis von 1 km Durchmesser gelegt. Einsprecher mit Wohnort innerhalb des Kreises sind aufgrund des zu erwartenden Lärms zur Einsprache legitimiert. Die Einsprachen werden mit Hinweis auf den noch zu erstellenden „Massnahmenplan Lärm“ abgewiesen. Einsprecher, die mindestens 1050 m vom Bohrplatz entfernt wohnen, wurden als „nicht legitimiert“ aus dem Verfahren geworfen.

Die Bewilligungsbehörde produziert mit viel Akribie Papier und Kosten. Sie nimmt aber weder die Bevölkerung noch die Sachverhalte ernst, sondern sie schützt die Gesuchstellerin und verweist die Einsprecher an das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen. Die Gesuchunterlagen enthielten Fehler und Unklarheiten (z.B. fehlende Profile), die eine korrekte Beurteilung der Sichtbarkeit, der Auswirkungen und allfälliger Optimierungen durch Verschiebung des Bohrturms verunmöglichten. Ein schematischer Kreis von 1000 Meter ist für Lärmprognosen in kupiertem Gelände eine dürftige Krücke. Das kürzlich durchgeführte Eichwaldschiessen lieferte genügend Anschauung: Gebäude in Mulden sind weniger exponiert als solche am weiter entfernten Gegenhang.
 
Nagra Sondierbohrung Zeihen Eichwald. Blick von Oberzeihen. Der weisse Mast entspricht etwa dem Bohrturm.

Es ist natürlich praktisch, wenn möglichst vielen Argumenten die Legitimation und damit die Pflicht zur Beantwortung entzogen werden. Die Bewilligungsbehörde gibt immerhin zu, dass Licht und Lärm während Jahren die Bewohner der Umgebung begleiten werden. Kein Wort aber darüber, wie allfällige Wertminderungen von Liegenschaften und Eigenmietwerten kompensiert werden könnten. Die Heerscharen der involvierten Gremien und eine Obrigkeit, die Formalismus und Arroganz über sachliche Vernunft stellt, leisten keinen Beitrag zur Versachlichung der Entscheidfindung. Sie nähren die Opposition und festigen die Einsicht: Ein Tiefenlager für den Atommüll ist in der dicht besiedelten Region des Bözbergs nicht möglich.

9. Oktober 2019
 

Atommüll Endlager Bözberg 2019: Studienreise nach Frankreich bringt wesentliche und neue Erkenntnisse

Eine Delegation des Vorstandes von Pro Bözberg hat Ende Mai 2019 in Frankreich zwei Anlagen zur Lagerung der atomaren Abfälle besucht. Unser westliches Nachbarland bringt dieses Problem einer möglichen Lösung schon viel näher als die Schweiz und ist offensichtlich gewillt, die Sache ernsthaft anzugehen. Wieso die konkreten Erfahrungen der Franzosen weder für die Nagra noch für die zuständigen Bundesbehörden in der gegenwärtigen Diskussion um ein Endlager unter dem Bözberg keine Rolle spielen, ist unverständlich.

Die Teilnehmer haben die Reise nach Bure (an der Grenze zwischen den Departementen Meuse und Haute Marne) und Centre de l‘Aube (Departement Aube) selber organisiert, bezahlt und ausgewertet. Frankreich ist die drittgrösste Atommacht der Welt, produziert in 58 Atomkraftwerken mit 75 Prozent den höchsten Anteil am eigenen Strom (Schweiz:  5 Atomkraftwerke, 25 Prozent Anteil) und betreibt in La Hague (Normandie)  eine Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannten Kernbrennstoff. Es gibt keine Absichten für einen Ausstieg aus der Atomkraft-Nutzung. Die sichere Lagerung der Abfälle und namentlich die technisch implementierte Rückholbarkeit (v.a. für die spätere Wiederverwendung der hochaktiven Abfälle) haben in Frankreich deshalb eine ganz andere Bedeutung als in der Schweiz: Frankreich will eine reversible Lösung, weil die Nutzung weitergeht. Die Schweiz muss ihre angehäuften atomaren Abfälle noch lagern und entsorgen, wenn die Atomkraftwerke längst abgestellt sein werden. Dennoch ist unser Land per Kernenergiegesetz verpflichtet, die radioaktiven Abfälle rückholbar zu lagern. Diesbezüglich und insbesondere konzeptuell bedarf es aber akuter Nachhilfe: ein Augenschein in Frankreich genügt.

Tiefenlager für hochaktive Abfälle (Projekt Cigéo = Centre industriel de stockage géologique)

In Bure, 235 km Luftlinie nordwestlich vom Bözberg entfernt, sind die Arbeiten im Bereich des Tiefenlagers für Frankreichs hochaktive und langlebige mittelaktive atomare Abfälle weit fortgeschritten: Seit 25 Jahren betreibt die Andra (Agence nationale pour la gestion des déchts radioactifs, also das französische Pendant zur Nagra) in einer Tongesteinsschicht des tektonisch stabilen Pariser Beckens, 450 m unter der Oberfläche, das Versuchslabor. Der Besuch des Stollensystems zeigte eindrücklich: Die konkreten Fragen zu Bohrtechniken, Geologie, Veränderungen durch Luftzufuhr (Austrocknung des Gesteins), Druckentlastungen und Umlagerungen der Gebirgspannung infolge Stollenausbruch, Sicherheit der Arbeiten, technische Lösungen für Behälter, Einlagerung, Überwachung können bzw. müssen letztlich zwingend vor Ort, unter Tage abgeklärt werden, selbst wenn dies mit sehr grossem Aufwand einhergeht. Die ausgesprochen offenen (und selbstkritischen) Erläuterungen der begleitenden Experten anlässlich der Orientierung in den Stollen der Forschungsanlage beeindruckten die Teilnehmer. Frankreich ist offenkundig auf dem Weg einer machbaren, den Anforderungen an Sicherheit und Reversibilität genügende Lagerung so weit fortgeschritten, dass in unmittelbarer Nähe des Versuchslabors (das weiterhin in Betrieb bleibt) je eine Fläche für die Umlade- und Zulieferungsanlagen (mit Bahnanschluss und Seilbahn ins Tiefenlager) sowie für die umfangreichen Oberflächenanlagen (mit je gegen 300 ha Fläche) rechtlich ausgeschieden, gesichert und vorbereitet sind.  Die Entscheidung über den Start der Einlagerung fällt der Staatspräsident nach einer Anhörung im französischen Parlament. Die Kosten von geschätzten 25 bis 40 Milliarden Euro übernehmen die Verursacher (Nutzer).

Oberflächenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle

Nachdem das Lager „Centre de la Manche“ (bei La Hague, Normandie) zu Beginn der 1990er Jahre die Kapazitätsgrenze erreicht hatte, wurden etwa 45 km ostnordöstlich von Troyes im Centre de l‘Aube zwei weitere Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle eingerichtet; sie sind bereits seit 1992 in Betrieb. Die angelieferten, in der Regel bereits lagergerecht konditionierten Abfallgebinde werden in Erdlagern bzw. in kubischen Betonbauwerken systematisch eingelagert, verschlossen und überwacht (Langzeit-Monitoring des unterirdischen Drainagesystems). Die Radioaktivität soll in spätestens 300 Jahren soweit abgeklungen sein, dass für die Umwelt keine Bedenken mehr bestehen. So lange müssen aber die Anlagen sicherheitsmässig bewacht und ihre allfälligen radiologischen Auswirkungen überwacht werden.

Umgebung der Anlagen an der Erdoberfläche

In der Landschaft beeindruckten bei allen Anlagen Weite und „Menschenleere“. Die Besiedlungsdichte ist weit über 10 Mal geringer als rund um den Bözberg. Und die Bevölkerung auf dem Land nimmt weiter ab. Alle Anlagen sind mit Zäunen, Überwachungssystemen und Personal massiv gesichert. Sie sind flächenmässig sehr grosszügig ausgelegt (Sicherheit) und grenzen nirgends an Ortschaften oder Infrastrukturanlagen.

Fazit

Aus der Reise sowie nach dem Studium der Unterlagen und im Vergleich zu den Absichten der Nagra am Bözberg ergeben sich folgende wesentlichen Erkenntnisse.

Geologische Aspekte

Die seismische Stabilität (Erdbeben) des Standorts im Bereich des tektonisch ruhigen Pariser Beckens ist augenfällig, aktive Gebirgsgürtel (Alpen, Jura) sind ausser Reichweite. Daher sind auch Fragen der Langzeiterosion, insbesondere der Tiefenschurf durch eiszeitliche Gletschervorstösse unerheblich. Und mit Ausnahme des allgegenwärtigen Geothermie-Potenzials sind keine Nutzungskonflikte mit mineralischen Rohstoffen absehbar. Die Eigenschaften des designierten Lagergesteins (ein Tonsteinsediment aus der Jura-Zeit) überzeugen bezüglich Mächtigkeit (bis 140m), räumlich weitreichender Homogenität und lateraler, erkundungstechnischer Prognostizierbarkeit (mit Reflexionsseismik).

Bautechnik und Einlagerungskonzept

Das Felslabor Bure an sich kann als bergbautechnische Anlage prinzipiell bereits als 1:1 Demonstration der technischen Machbarkeit des geplanten Tiefenlager-Bauwerks im vorgesehenen Tongestein bezeichnet werden, freilich noch nicht in der erforderlichen Ausdehnung und noch ohne den 5 km langen Zugang über einen Schrägstollen mit Seilbahn.
Von zentraler Bedeutung ist das Einlagerungskonzept für die hochaktiven Abfälle. Vorgesehen und in aktueller Erprobung ist eine Auslegung mit ausgebautem Tunnel (Hauptzugang) und seitlichen Stummelstollen (frz. alvéoles) in regelmässigen Abständen für die Aufnahme der strahlenden Abfallbehälter; das Stollensystem erinnert in seiner Anlage an die Bohrgänge des „Buchdrucker-Borkenkäfers“ in den von ihm befallenen Bäumen.
Diese Auslegung ist auch für eine auf dem Niveau industrieller Reife effizient und strahlengeschützt umsetzbare Rückholung des Abfallguts fundamental. Denn die Behälter mit der hochradioaktiven Fracht verbleiben bereits während ihrer unterirdischen Verfrachtung bis hin zur Einmündung in die seitlichen Stummelstollen in den gepanzerten Transportgefährten, welche das Personal vor Strahlenbelastung abschirmen. Dies gilt aber auch reziprok im Bedarfsfall für die Rückholung der Behälter, als unabdingbare Voraussetzung einer glaubwürdigen Reversibilität der Lagerung.
Im höchsten Masse vertrauensbildend erweist sich in diesem Kontext die vorzeigbare und einleuchtende Erprobung der Handlungsabläufe bis hin zum Routinevorgang. Grundsätzlich ist das Publikum jederzeit willkommen, soweit dies im Rahmen der strengen Sicherheitsvorgaben einer Schacht- und Stollenanlage in mehreren hundert Metern Tiefe zugelassen werden kann.
Denn allein schon das Forschen und Erproben in diesen Tiefen und im Massstab 1:1 ist sicherheitstechnisch anspruchsvoll. Die Anzahl Personen, die sich gleichzeitig im Stollensystem aufhalten können ist streng begrenzt durch die Rettungsmöglichkeiten, insbesondere in den Schachtanlagen. Auch diese Erfahrungen sind hinsichtlich einer späteren Betriebs- und Einlagerungsphase wesentliche Grundlagen des zu erarbeitenden umfassenden Sicherheitskonzepts.

Schlussbetrachtungen

Frankreich ist mit dem Felslabor der Andra in Bure sowie dem konzeptuell wohl durchdachten Projekt Cigéo zielgerichtet auf dem Weg einer Lager-Realisierung, welche sich auf solide Erprobung von in absehbarer Zeit industriell reifen Abläufen stützen kann.
Davon ist die Nagra mit ihrem Konzept der hintereinander eingelagerten Behälter in bis fast einen Kilometer langen, nur knapp 3m engen Stollen noch um Welten entfernt. Warum klammert sie sich an dieses technisch kaum umsetzbare Konstrukt? Man stelle sich nur einmal vor, mit welchem Aufwand und unter welcher Strahlenbelastung die Rückholung der Behälter verbunden sein würde. In Frankreich hätte dieses Konzept jedenfalls nicht den Hauch einer Chance für die Betriebsgenehmigung. So oder so darf man gespannt sein auf eine Demonstration der Nagra, wie schon der Einlagerungsvorgang, geschweige denn die reibungslose Rückholung, im Massstab 1:1 unter strikter Einhaltung der Strahlenschutz-Vorgaben vor sich gehen soll …
Das Felslabor unter dem Bözberg bleibt wohl noch für lange Zeit eine fiktive Wunschprojektion der Nagra.

Soweit zu den Aspekten, welche sich auf den geologischen Untergrund beziehen. Doch wie sieht es bezüglich der Oberflächen-Infrastruktur aus?
Die Sicherheit dieser Anlagen (Betrieb, Personal, Sabotage, Datensicherung, Unfälle, Bewachung) erfordert sowohl eine Grosszügigkeit der Anlagen (Fläche, Erschliessung mit Bahn, bauliche Ausstattung einer Atomanlage für das Öffnen und Umpacken der Lagerbehälter aus Zwischenlagern) und eine Isoliertheit (freie Fläche rundherum). Die Sicherheit muss sowohl auf Unfälle als auch auf Terror und Kleinkriege während der Dauer bis zum endgültigen Verschluss des Tiefenlagers ausgelegt sein. Wenn man die Anlagen in Frankreich mit den geplanten Anlagen bei Villigen und Riniken vergleicht, bestehen mehr als ernsthafte Zweifel, ob überhaupt genügend Platz (quasi zwischen Wald und Dorf) für sichere und verteidigbare Anlagen bei Unfällen, Terror und Kleinkrieg vorhanden sind. Der Aargau will bevölkerungsmässig weiter wachsen. Die Risiken und die Anzahl der betroffenen Personen bei Evakuierungen nehmen zu. Frankreich zeigt: Alle ausserhalb der von Wachmannschaften gesicherten Zäune liegenden Gebäude und Einrichtungen sind bei Angriffen gefährdet. Wer entscheidet in der Schweiz im Konfliktfall über Massnahmen und wer setzt diese (gegen die Bevölkerung) durch? Der Bundesrat mit der Armee? So wie Nagra und Bundesbehörden über „Sicherheit“ kommunizieren, betrachten sie nur die politisch-gesellschaftlich labile Schönwetterlage der Gegenwart.
Und die radiologischen Risiken für die Bevölkerung? In Frankreich wird ein umfassendes Umweltmonitoring auf einer Fläche von 900 km2 eingerichtet. Umweltüberwachung und Beweissicherung, dass an der Oberfläche durch das Tiefenlager keine Veränderungen/Belastungen feststellbar sind. Wie soll rund um den Bözberg überwacht und festgestellt werden? So etwas ist in der dicht besiedelten, genutzten und übernutzten Landschaft im nördlichen Aargau gar nicht möglich.
Abschliessend ein Gedanke zur personellen und v.a. finanziellen Absicherung der über ein Jahrhundert erforderlichen Überwachungs-Aktivitäten: Frankreich produziert ungleich grössere Abfallmengen und denkt offenbar noch lange nicht über einen „Ausstieg“ aus der Kernenergie-Anwendung nach. Daraus ergibt sich faktisch eine voraussichtlich viel längere „Nutzungsdauer“ mit weitergehender Finanzierung und stabilen Beständen an Fachpersonal. Es stellt sich die Frage: Ist die Schweiz überhaupt in der Lage, über die von der Nagra vorgesehene Zeit des Lagerbetriebs (rund 100 Jahre bis zum Verschluss, angeblich von 2060 bis 2160), die notwendige Sicherung der Oberflächenanlagen und die nachfolgende Überwachung überhaupt zu „stemmen“. Die Atomkraftwerke sind dann mutmasslich längst abgestellt, die Karrieren der „Atommüllhüter“ wenig attraktiv, die Fallzahlen klein und der Aufwand an Infrastruktur für die „Kleinmengen“ unverhältnismässig hoch. Solche Überlegungen führen beispielsweise bei Spitälern über kurz oder lang zu Schliessungen.

 Atommüll Endlager Bözberg 2019 - Studienreise nach Frankreich bringt wesentliche und neue Erkenntnisse

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


[Foto]: Mitglieder des Vorstands von „Pro Bözberg“ rund 500 Meter unter der Erdoberfläche in einem Stollen des Felslabors Bure (Frankreich). Eine Stollenbau- und Felsmechanik-Expertin (mit weissem Helm) erläutert, wie sich der Vortrieb der Stollen nach den vorherrschenden Gebirgsspannungen zu orientieren hat, um eine möglichst uneingeschränkte Integrität des Tongesteins zu gewähren. Solche konkreten Erkenntnisse lassen sich nur vor Ort im unter enormer Spannung stehenden Gebirge gewinnen.   (Foto Pro Bözberg).


Weitere Bilder mit Informationen:

Bilderstrecke 1          Bilderstrecke 2


Links:


https://meusehautemarne.andra.fr/

https://www.nuclearwaste.info/glaubwuerdig-frankreich-setzt-auf-die-rueckholbarkeit-seiner-hochaktiven-abfaelle-eine-studienreise-ins-felslabor-der-andra-in-bure-dept-meuse-haute-marne/

07-09-2019

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Sachplanverfahren: Keine Risikominderung und keine Garantie für eine dauerhafte Sicherheit eines Tiefenlagers

 

Der Vortrag von Prof. Dr. Walter Wildi anlässlich der Mitgliederversammlung von Pro Bözberg (10. April 2019) bestätigt die von g20.ch schon mehrfach geäusserten Zweifel am politischen Willen, die Probleme mit dem produzierten Atommüll ernsthaft zu lösen.

Die Verursacher des Atommülls sind für deren Entsorgung verantwortlich. Statt den Gesetzesauftrag zu vollziehen, vertrödeln die „Verursacher“, die gleichzeitig Entsorger, Verfahrensführer und Bewilligungsbehörden sind, Zeit und Geld mit einem Raumplanungsverfahren (Sachplanverfahren), das ungeeignet ist

a) die Risiken der vorhandenen Atomabfälle zu begrenzen
b) die Sicherheit eines Tiefenlagers frei von politischen Vorgaben zu beurteilen und sachgerecht (räumlich und zeitlich) zu garantieren.

Der Referent fasst die bisherigen Erfahrungen mit dem Umgang von Atommüll prägnant zusammen und kommt zu ernüchternden Ergebnissen: Die Behörden vertrödeln Zeit und Geld. Eine glaubwürdige Problemlösung für die Schweizer Atomabfälle ist nicht in Sicht.

Für die Erlaubnis zur Publikation der Folien des Vortrags danken wir dem Referenten ganz herzlich.

13-04-2019

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Nagra 2019: Informationsreisen zur Pflege des Netzwerks


„Grünes Licht für Informationsreisen der Nagra“ titelt die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle ihre Medienmitteilung vom 18.12.2018 (www.nagra.ch). Ziemlich unverfroren rechtfertigt die offensive Medienstelle Informationsreisen mit der Einstellung eines Verfahrens durch die Bundesanwaltschaft. 2018 sistierte die Nagra die Reisen wegen einer „anonymen Anzeige“. Die „Vorabklärungen“ ergaben jetzt: „Die Straftatbestände der Vorteilsgewährung und Vorteilsnahme sind laut Bundesanwaltschaft eindeutig nicht erfüllt“. So weit so gut, aber was heisst das konkret?

Der Bundesrat hat die 2. Etappe des „Sachplans geologische Tiefenlager“, mit mindestens einem Jahr Verspätung und von der Öffentlichkeit kaum beachtet, als abgeschlossen bezeichnet. Damit können jetzt die für die nächsten Jahrzehnte vorgesehenen Aktivitäten von Nagra, Bundesamt für Energie (BFE, www.radioaktiveabfälle.ch) und ENSI (www.ensi.ch) abgearbeitet werden. In der 3. Etappe fallen im Sachplankarussell vorläufig alle bisherigen Hürden, Hemmungen und Sorgen um das weitere Verfahren weg: Grünes Licht.

Wie die Anzeige lautete und was die Bundesanwaltschaft abklärte und entschied, wird in der Pressemitteilung weder erläutert noch dokumentiert. Das Volk, der Souverän und die Bevölkerung, die gegebenenfalls von Fehlentscheiden betroffen sind, haben eine viel differenziertere Wahrnehmung. Schmieren und Salben hilft allenthalben, lautet eine gängige Volksweisheit. Sie wird unabhängig davon angewendet, ob Bundesbehörden eine Sache als rechtens oder nicht rechtens taxieren. Was nicht strafbar ist bedeutet nicht automatisch, dass es für eine Sache gut und richtig ist. Etwas Anfüttern und mit einem milden Produkt leicht einseifen hat in der Politik noch nie geschadet. Und um Politik geht es beim Sachplan nicht zuletzt.

Die Nagra bietet ab 2019 (wieder) an: „Den Teilnehmern aus dem gesamten politischen Spektrum wird Gelegenheit gegeben, sich vor Ort über die Entsorgungskonzepte anderer Staaten und deren Erfahrungen zu informieren. Konkretisierte Projekte wie etwa in Deutschland und Schweden lassen sich in der Schweiz noch nicht besichtigen. Die Nagra trägt die Kosten für die zwei- bis dreitägigen Reisen nach dem Verursacherprinzip. Aufgrund des gedrängten Programms haben die Teilnehmer angeblich keine freie Zeit zur eigenen Verfügung und keine Gelegenheit, kulturelle oder touristische Orte oder Anlässe zu besuchen. Die Reisen werden auch von je einem Vertreter der Bundesbehörden (BFE, ENSI) als Auskunfts- und Fachperson begleitet.“ Tönt doch gut und seriös. Sollten Sie sich zum „politischen Spektrum“ zählen, zögern sie nicht, sich anzumelden: “Mitglieder des Schweizer Parlaments, die Mitglieder der Regionalkonferenzen der politischen Standortregionen, Mitglieder der kantonalen Parlamente und von Gemeindebehörden aus potentiellen Standortregionen sowie Verbände und weitere Interessierte“.

In der Regel hängen die Teilnehmer die Erfahrungen der Informationsreisen nicht an die grosse Glocke. Man bleibt aus verschiedenen Gründen gerne anonym. Sei es, wegen eigener Vorteile, des unguten Gefühls oder einfach, weil man keine Neider aufschrecken möchte. Trotz dem Schweigen der Teilnehmer sickert ab und zu etwas von den Erlebnissen in die Öffentlichkeit durch und nährt die Gerüchteküche. Das einzige Ziel der Nagra ist offensichtlich die Netzwerkpflege, die Pflege der Kameradschaft und die Förderung der Verbundenheit mit Duzis-Kollegen. Technisch bringen Informationsreisen nach Schweden (Skandinavisches Kristallingestein) oder nach Deutschland (Steinsalz und Gorleben-Pannen) nichts, weil die Nagra ihre helvetische Entsorgungspflicht in einem Tongestein (Opalinuston) erfüllen will.

Auf der Homepage der Regionalkonferenz Jura-Ost (https://www.jura-ost.ch/aktuelles-jura-ost.html) weisen ein Bild und ein kurzer Text auf eine Informationsreise der Nagra nach Frankreich hin. Im März 2018 (trotz angeblicher Sistierung) haben Mitglieder der Regionalkonferenzen, der Nagra und des Bundesamtes für Energie BFE sich im Nachbarland nach dem dortigen Stand der Entsorgung von Atommüll erkundigt. Reisen bildet und es ist immer gut, wenn man sich vor Ort informiert. Leidererfährt die Bevölkerung rund um den Bözberg nichts über die Ziele und die Erkenntnisse aus Frankreich. Frankreich lagert, schwach- bis mittelradioaktive Abfälle oberirdisch. Hinsichtlich der Endlagerung seiner hochaktiven Abfälle betreibt Frankreich ein Versuchslabor fünfhundert von Meter unter der Erde in Tonschichten. Frankreich produziert mindestens 10 Mal mehr Atommüll wie die Schweiz. Fände da unser Atommüll nicht auch noch ein Plätzchen in einem Nebenstollen?

Gratisreisli in Sachen Atommüll machen stutzig, weil neben Kumpanei offensichtlich keine sachdienlichen Erkenntnisse generiert werden. Die zweitägige Reise war für die Eingeladenen gratis. Die Mitreisenden bekamen allerdings kein zusätzliches Tagesgeld, wie das sonst in der Regionalkonferenz üblich ist. Nach der freundlichen Auskunft von Herrn Ueli Müller (Präsident der Regionalkonferenz Jura-Ost) und Herrn Gerry Thönen (Geschäftsleiter) wurde „das Angebot so konzipiert, dass jeder Teilnehmer seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen kann“.

22-12-2018


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Der Blick über die Grenze

 

Die Gefahren, die dem strahlenden Atommüll im Zwischenlager in Würenlingen und in den Schweizer Atomkraftwerken innewohnen, betreffen nicht nur die Schweiz. Ein Austreten von Radioaktivität in die Umwelt hätte Auswirkungen auf ganz Mitteleuropa und auf das Rheintal bis nach Holland:

  • Zur Beurteilung der Sicherheit/Risiken von Zwischen- und Endlagern ist der Blick über die Grenzen zwingend notwendig.

Gefahren für die Schweiz gehen auch von Zwischenlagern und Atomkraftwerken aus europäischen Ländern aus. Bezüglich Wasser liegen wir günstig (obstrom). Verstrahlungen aus Tschernobyl haben aber gezeigt, dass sowohl Unfälle als auch die zahlreichen Lagerstätten von Atommüll (zivile und militärische) ein Risiko für die Schweiz darstellen. In keinem Land von Mitteleuropa ist die Entsorgung/Endlagerung gelöst:

  • Die Schweiz muss ihre Anstrengungen zu einer europäischen Zusammenarbeit in Sachen Atommüll sehr stark intensivieren.

In Mitteleuropa gibt es auch Gruppierungen, die die Produktion und die Endlagerung von Atommüll kritisch begleiten. Bisher haben bei politischen Entscheiden die wirtschaftlichen Interessen über die Gefahren obsiegt. Das kann sich mit jedem neuen Unfall ändern. Der informative Blick über die Grenzen lohnt sich. Wir beschränken uns aus verständlichen Gründen auf Hinweise in deutscher Sprache (Link):

Dass das Bundesamt für Energie BFE und die Nagra ein paar Vertreter von Gemeinden in die Regionalkonferenz Jura-Ost (Bözberg) berufen hat, hilft der Sache wenig. Es ist eher komisch, wenn die Schweiz in Sachen Schweizer Atommüll Geschäftsstellen im nahen Ausland bezahlt und gleichwertig behandelt wie die ansässige Bevölkerung rund um den Bözberg (http://www.dkst.info/home.html). Das zeigt letztlich nur: Beide haben zu grundsätzlichen Fragen nichts zu sagen: Mitwirken können sie schon, bewirken können sie nichts. Das persönliche Schweigen der Vertreter wird finanziell abgegolten:

  • Der Einbezug von ein paar Deutschen Gemeinden und Vertretern in die Regionalkonferenz Jura-Ost (Bözberg) genügt der Notwendigkeit für den Einbezug Mitteleuropas in Sachen Atommüll nicht.
  • Die finanziellen Beiträge und die Schweigepflicht für ausgewählte Personen be- und verhindern eine öffentliche Mitwirkung, die den Namen verdient.

 

08-10-2018

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Endlager für Atommüll Schweiz: Kritik an Nagra und BFE

Verfahren und Vertrauen sind offenbar nicht so wichtig, dass man sie ernst nehmen muss

Bohrbewilligungen und Baubeginn für Sondierbohrungen entsprechen nicht dem Etappenplan im Sachplanverfahren des Bundes

 

Die entsorgungspflichtigen Verursacher des Schweizer Atommülls (Nagra) foutieren sich mit dem angekündigten Baubeginn von Sondierbohrungen in Bülach und Trüllikon um den Vorgehensplan (Sachplan geologische Tiefenlager) und um die Formulierungen in ihren eigenen Bohrgesuche. Die unkritischen Medien verbreiten, wie gewohnt, beschönigende Medienmitteilung ohne inhaltliche Prüfung und Kommentar. Nachfragen bei Nagra und der Bewilligungsbehörde BFE (Bundesamt für Energie) bringen eine unkoordinierte Egodiversität (persönliche Meinungsvielfalt und einstudierte Formulierungen) der Kommunikationsbeauftragten und der  Fachspezialisten an den Tag. Eine ordnende Hand der Politik, des Departementes von Frau Bundesrat Leuthard oder des Bundesrates ist, wie in anderen politischen Dossiers auch, nicht erkennbar. Im Unterschied zur Politik strahlt der angehäufte Atommüll die nächste Million Jahre einfach vor sich hin. Mehr Ernsthaftigkeit und weniger Propaganda wären dem Thema „Entsorgung“ durchaus angemessen.


Wenn es um die häppchenweise Festlegung eines Endlagers für den Schweizer Atommüll geht, ist immer alles ganz harmlos, ganz einfach und an sich unbestritten. Die Presse und die involvierten Gremien verbreiten unkommentiert die Medienmitteilung der Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, 5430 Wettingen) vom 26.09.2018: Die Nagra startet Tiefbohrserie in Bülach und Trüllikon (www.nagra.ch).

Für jede Medienmitteilung und jede Fachstelle gibt eine Pressestelle Auskunft. Meine konkrete Anfrage lautete:

„Gemäss "Sachplan" darf doch die Nagra erst mit Bohren beginnen, wenn der Bundesrat seinen Entscheid zur Etappe 2 veröffentlicht hat und wenn dieser positiv ausfällt. Ist die Nagra bereits im Besitz dieses Entscheides? Warum diese Pressemitteilung jetzt?

Für das BFE antwortet der Leiter Regionale Partizipation, Stefan Jordi. (Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK; Bundesamt für Energie BFE; Dienst Regionale Partizipation) per Mail:

„Gemäss dem Konzeptteil des Sachplans geologische Tiefenlager werden in Etappe 3 die verbliebenen Standorte vertieft untersucht und die standortspezifischen geologischen Kenntnisse mittels erdwissenschaftlichen Untersuchen (z.B. seismischen Messungen, Bohrungen) auf einen Stand gebracht, der im Hinblick auf die Vorbereitung der Rahmenbewilligung Vergleich aus sicherheitstechnischer Sicht ermöglicht. Der Bundesratsentscheid zu Etappe 2 wird Ende 2018 erwartet.
Die Nagra beginnt nun mit dem Aufbau der ersten vom UVEK nach Kernenergiegesetz (KEG) bewilligten Bohrplätze und wird Anfang 2019 mit den Bohrungen beginnen. Falls sich der Bundesrat gegen die drei Standortgebiete Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost weiter zu untersuchen, entscheidet, sind die Kosten der bereits aufgebauten Bohrplätze von der Nagra zu tragen.“

Das sind die allgemeinen Plattitüden, die einstudierten Formulierungen, wie sie den Regionalkonferenzen vorgesetzt werden. Auf die Fragen werden (gewohnheitsmässig) vorerst keine Antworten gegeben.


Für die Nagra antwortet Patrick Studer (Ressortleiter Medienstelle, Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle Nagra, Wettingen/Schweiz):

„Das UVEK hat die Bohrungen bewilligt. Der Antwort von Herrn Jordi vom BFE können wir nichts hinzufügen. Fragen zum Sachplanverfahren beantwortet das BFE, welches das Verfahren leitet.“

Auch hier das, was man offenbar in der Kommunikation lernt: Vorerst die Frage nicht beantworten, so tun, als sei man nicht betroffen. Also melde ich mich halt wieder beim BFE und der Nagra:

„Sie können sich sicher vorstellen, dass Ihre Antwort in meinen Augen weder dem Ernst der Frage (Korrektheit der Verfahren) noch dem Ernst der Sache (sichere Endlagerung von Atommüll) angemessen ist. Der unbefriedigenden Antwort von Herrn Jordi könnten Sie sehr wohl noch etwas hinzufügen: Sie könnten mir zum Beispiel Einsicht in die erteilten Bewilligung(en) und die entsprechenden Auflagen gewähren. Gilt für diese Bewilligungen auch das Öffentlichkeitsprinzip? Ich würde mich freuen, von der Nagra mehr und konkretere Informationen zu erhalten. Mich würde schon noch interessieren, was die Nagra als Gesuchstellerin dazu meint. Dürfte ich als Privatmann auch mit Bauarbeiten beginnen, bevor vorgängige Verfahren abgeschlossen sind?"

Stefan Jordi antwortet „automatisch“, weil er inzwischen in die Ferien verreist ist.
Patrick Studer von der Nagra wirkt plötzlich sehr freundlich aber unsicher.
Offensichtlich ist er mit seiner Antwort in der Nagra etwas einsam:

„Die Bewilligungen sind parteiöffentlich. Das bedeutet, wenn ich mich nicht irre, dass alle Einsprecher und andere Involvierte Einsicht erhalten, die Bewilligungen aber nicht per se öffentlich sind. Ich muss das aber noch genau abklären beim BFE, das die Spielregeln festlegt. Ich werde auch abklären, ob es uns rechtlich überhaupt möglich wäre, Ihnen allenfalls Einsicht in die Bewilligungen zu geben. Diese Abklärungen schaffe ich aber heute nicht mehr, ich werde mich am Montag wieder bei Ihnen melden.“


So frage ich halt noch einmal beim BFE, diesmal bei Frau Seraina Branschi (Kommunikation, BFE):

„Die Nagra kann nichts dafür und verweist mich an Sie: Wie kommt das BFE dazu, Bohrbewilligungen für die Etappe 3 zu bewilligen und den Baubeginn der Nagra zu tolerieren, bevor die Etappe 2 formell abgeschlossen ist? Ich bitte Sie höflich um eine rechtlich korrekte und plausible Antwort. Das Vorgehen ist für mich (und einige andere aus der Region) unverständlich: Ich kann doch auch nicht mit einem Bau beginnen, bevor beispielsweise der Regierungsrat einen dazu notwendigen Gestaltungsplan genehmigt hat. Enthalten die im August 2018 erteilten Baubewilligungen des BFE an die Nagra wirklich keine Auflagen bezüglich Baubeginn? Sind die Baubewilligungen öffentlich zugänglich?“

Die Antwort kommt rasch und forsch von Peter Raible (Rechtsanwalt & Notar, Fachspezialist Kernenergierecht, Bundesamt für Energie):

„Frau Branschi hat Ihre Fragen zu den Sondierbohrbewilligungen aufgrund des vorwiegend juristischen Gehalts an mich weitergeleitet. Ich kann Ihnen Ihre Fragen wie folgt beantworten:

Die Voraussetzungen der Bewilligungserteilung für eine Sondierbohrung (erdwissenschaftliche Untersuchung) sind in Art. 35 Abs. 2 des Kernenergiegesetzes geregelt (https://www.admin.ch/opc/de/classifiedcompilation/20010233/index.html):

1 Erdwissenschaftliche Untersuchungen in möglichen Standortregionen, die dazu dienen, Kenntnisse im Hinblick auf ein geologisches Tiefenlager zu verschaffen, bedürfen einer Bewilligung des Departements.

2 Die Bewilligung wird erteilt, wenn:
a. die geplanten Untersuchungen geeignet sind, die erforderlichen Grundlagen für die spätere Beurteilung der Sicherheit eines geologischen Tiefenlagers zu erbringen, ohne die Eignung eines Standortes zu beeinträchtigen;
b. keine anderen von der Bundesgesetzgebung vorgesehenen Gründe, namentlich des Umweltschutzes, des Natur- und Heimatschutzes und der Raumplanung, entgegenstehen.

Wie Sie sehen ist der Abschluss von Etappe 2 des Sachplans geologische Tiefenlager keine Voraussetzung für die Bewilligungserteilung. Der Sachplan ist zwar ein behördenverbindliches Instrument der Raumplanung, allerdings handelt es sich nicht um eine gesetzliche Norm, wie sie oben in Buchstabe b. erwähnt ist.

Bei einer Bewilligung für erdwissenschaftliche Untersuchungen handelt es sich um eine sogenannte Polizeibewilligung. Das bedeutet, dass die Nagra ein Recht auf die Erteilung der Bewilligung hat, sobald alle oben aufgeführten Voraussetzungen erfüllt worden sind. Die Nagra hat bei den bisher bewilligten Bohrungen alle Voraussetzungen erfüllt, weshalb die Bewilligungen schliesslich erteilt worden sind bzw. haben erteilt werden müssen. Die erteilten Bewilligungen enthalten demnach auch keine Auflage betreffend des Baubeginns in Abhängigkeit des Abschlusses von Etappe 2 des Sachplans geologische Tiefenlager.

Insofern handelt es sich hier also um eine andere Situation als bei dem von Ihnen beschriebenen Nutzungsplanverfahrens, wo das Vorliegen eines Gestaltungsplans Voraussetzung für die Erteilung einer Baubewilligung sein kann.

Die Bewilligungen stehen von Gesetzes wegen nur den am Verfahren beteiligten Parteien zur Einsicht zu und werden nicht veröffentlich“.


Das ist die bisher kreativste Interpretation zum vorzeitigen Start derTiefenbohrungen. Sachlich widerspricht sie sowohl dem Sachplanverfahren (http://www.bfe.admin.ch/themen/00511/01432/06819/index.html?lang=de), dem Willen des Bundesrates und verstösst doch gegen „Treu und Glauben“ der Bevölkerung. Wieso inszeniert das BFE eine solche Organisations-, und Papierflut, wenn für die Bohrbewilligungen doch einfachere Verfahren auch genügen? Wieso die ganze „Mitwirkung“ und die finanzierte Willkür mit den Regionalkonferenzen? Wieso wird die Aufsicht durch das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) nicht erwähnt?

Den Beweis für die falsche Antwort liefert die Nagra selber. In den publizierten Sondiergesuchen der Nagra (1. September 2016) kann Jedermann nachlesen:

Einleitung und Zielsetzung
In der Etappe 3 des Sachplans geologische Tiefenlager (SGT-E3) ist vorgesehen, die verbleibenden Standortgebiete mit geowissenschaftlichen Methoden detaillierter zu untersuchen. Ziel dieser Untersuchungen ist die Erhebung einer hinreichenden Datenbasis für den Vorschlag jeweils eines Standortgebiets pro Lagertyp (schwach und mittelaktive Abfälle SMA und hochaktive Abfälle HAA) für ein Rahmenbewilligungsgesuch (die Option Kombilager1 wird beibehalten). Diese Daten müssen eine verlässliche Basis für die Standortwahl sowie für die Beurteilung der Sicherheit und technischen Machbarkeit eines Tiefenlagers im Rahmenbewilligungsgesuch (RBG) bilden.

Lese ich richtig: Steht hier nicht in der Etappe 3? Es würde mich schon noch interessieren: Wann beginnt die Etappe 3? Und weshalb hält die Nagra ihre eigenhändig gestellten Gesuche nicht ein? Weiss die Medienabteilung nicht, was in den Gesuchen steht?


Als Beweise für mein Fazit mögen die bisherigen Auszüge aus dem Mailverkehr genügen. Es ist Jedermann unbenommen, selber Fragen zu stellen und die Antworten mit den Fakten und den eigenen Beobachtungen zu vergleichen.

Es besteht kein Zweifel: Die Fachspezialisten und die Medienbeauftragten haben das Sachplanverfahren und die korrekte Abwicklung der Auswahl des sichersten Ortes für den Atommüll nicht im Griff. Die Egodiversität (blühende Meinungsvielfalt) wird genährt durch fehlende Organigramme, unklare Kompetenzen und beliebig viele (finanzierte) Gremien. Diese arbeiten ohne Führung, unkoordiniert, nach eigenem Wohlbefinden und Gutdünken.

Bisher glaubte ich auch, Bundesräte würden miteinander reden und sich in wesentlichen Fragen wenigstens informieren. Immer mehr wird klar: Wer das glaubt ist etwas naiv. Wer das erwartet, wird enttäuscht. Die aufgeblähten Verwaltungen führen, wie deren Chefs und die verantwortlichen Exekutivmitglieder auch, ein Eigenleben.

Es besteht kein Zweifel: Der Bundesrat wird formell die Etappe 2 des Sachplanverfahrens noch 2018 durchwinken. Alle Eingaben und Mitwirkungen werden darin als berücksichtigt erklärt. Und danach sind die Sondierbohrungen der Nagra wieder im „richtigen“ Fach.

Trotz immer grösserer Faktenlage dagegen, hoffe ich im Innersten immer noch an das Gute in der Schweiz. Leider gehört zu den Stärken der amorphen Konstruktionen rund um den produzierten Atommüll, dass man Kritiken nicht ernst nimmt. Obwohl die Verursacher zur sicheren Entsorgung verpflichtet sind, gehen die heutigen Akteure doch davon aus, dass während ihrer Amtszeit schon nichts passiert, wofür eine persönliche Verantwortung übernommen werden müsste. Dafür hat man ja den Sachplan für Gutgläubige und die Kommunikationsabteilungen.

Heiner Keller


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 Gratisreisli macht stutzig - Regionalkonferenz Jura-Ost

Auf der Homepage der Regionalkonferenz Jura-Ost (https://www.jura-ost.ch/aktuelles-jura-ost.html) weisen ein Bild und ein kurzer Text auf eine Informationsreise nach Frankreich hin. Im März 2018 haben Mitglieder der Regionalkonferenzen, der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle Nagra und des Bundesamtes für Energie BFE sich im Nachbarland nach dem dortigen Stand der Entsorgung von Atommüll erkundigt. Reisen bildet und es ist immer gut, wenn man sich vor Ort informiert. Leider erfährt die Bevölkerung rund um den Bözberg nichts über die Ziele und die Erkenntnisse aus Frankreich. Frankreich plant, schwach radioaktive Abfälle oberirdisch zu lagern. Frankreich betreibt für die stark radioaktiven Abfälle ein Versuchslabor in Tonschichten hunderte von Metern unter der Erde. Frankreich hat mindestens 10 Mal mehr Atommüll wie die Schweiz. Hätte da unser Atommüll nicht auch noch Platz?

Gratisreisli in Sachen Atommüll machen stutzig, wenn keine Erkenntnisse generiert werden. Die zweitägige Reise war für die Eingeladenen gratis. Die Mitreisenden bekamen allerdings kein zusätzliches Tagesgeld, wie das sonst in der Regionalkonferenz üblich ist. Nach der freundlichen Auskunft von Herrn Ueli Müller (Präsident der Regionalkonferenz Jura-Ost) und Herrn Geri Thönen (Geschäftsleiter) wurde „das Angebot so konzipiert, dass jeder Teilnehmer seine eigenen
Schlussfolgerungen ziehen kann“.

Die Frage nach dem Zweck lässt sich wahrscheinlich aus der Geschichte erklären: Die Nagra hat jahrelang „wichtige“ Leute auf Gratisreisen nach Schweden eingeladen. Die Ausflüge dienten dem „Kennenlernen“, dem „Duzismachen“, dem „Networken“ halt. Die Zusammensetzung der Gruppe mit Vertretern der Bewilligungsbehörde (BFE), der Nagra (Verursacher des Atommülls mit Entsorgungspflicht) und Mitgliedern der Regionalkonferenzen (willkürlich ausgewählte „Vertreter“
von Bevölkerung und Gemeinden, bisher ohne konsolidierte Rechtsform) und die fehlende Information passen zu diesem traditionellen Vorgehensmuster. Das Nidwaldner Volk hat seinerzeit ein Atomendlager im Wellenberg unter anderem wegen der unfairen und undemokratischen Bevorzugung einzelner Behördenmitglieder und Volksvertreter abgelehnt. Diese Methoden schaffen auch heute kein Vertrauen. Und das in einer Sache, die für die Region Bözberg ziemlich ernsthafte und nachhaltige Konsequenzen haben kann und wahrscheinlich auch haben wird.

Heiner Keller, Oberzeihen, 29. September 2018


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Wundersommer und die Wassertemperatur in Aare und Rhein

Das Atomkraftwerk Beznau mit eigenen Grenzwerten


Das Uraltkraftwerk Beznau versetzt einem immer wieder in Erstaunen. Dank der Sommertemperaturen importiert Italien viel Strom für die Klimaanlagen (z.B. in Touristenorten). Die Axpo nutzt die Gunst der Stunde und lässt das Atomkraftwerk Beznau (Beznau I und II) auf Vollast laufen. Ungemach bereitet einzig der Wundersommer, beziehungsweise die allgegenwärtige öffentliche Berichterstattung über die ungewöhnliche Hitze und Trockenheit. Wer jetzt irgendwie glaubt, aus dem „Klimawandel“ Abgeltungen oder Vorteile zu erwirtschaften, der jammert, behauptet und findet dankbare Medien, die darüber berichten. Früher nannte man die mediale Sommerflaute „saure Gurkenzeit“.

Wassertemperaturen, Fischsterben, Blaualgen und Feuerverbote beschäftigen die Neugier der „Daheimgebliebenen“. Weil auch das Atomkraftwerk Beznau die Aare mit seinem Kühlwasser aufheizt, berichtet die Aargauerzeitung (AZ, 31.07.2018): Was, wenn das Kühlwasser den Grenzwert von 32 Grad erreicht? Laut dem Sprecher der Axpo, der Besitzerin des Kraftwerks, „muss dann für einige Stunden am späten Abend eine Lastreduktion von unter 1 Prozent vorgenommen werden“.

Interessant ist, dass die gültige Gewässerschutzverordnung (https://www.admin.ch/ch/d/sr/c814_201.html) keinen Grenzwert von 32 Grad kennt. Das Wasser von Flüssen darf nicht über 25 Grad ansteigen und das eigeleitete Kühlwasser darf nicht über 30 Grad betragen. Die Axpo beruft sich offensichtlich auf einen Grenzwert, der nicht der Bundesgesetzgebung entspricht. Vielleicht handelt es sich wieder einmal um eine „Lex Beznau“, eine „Ausnahme“, die in irgendeiner Vereinbarung (Konzession?) toleriert wurde. Leider (oder wohlweislich) veröffentlicht die Axpo keine Wassertemperaturen in der Aare (und im Kühlwasser) im Bereich des Atomkraftwerks Beznau.

Die aktuelle (gemessene) Wassertemperatur der Aare in Brugg (https://www.hydrodaten.admin.ch/de/2029.html) erreicht in diesen Tagen die gesetzlich erlaubte Höhe von 25 Grad noch nicht. Auffällig ist der Tagesgang der Temperaturkurve: Wenn die Sonne an das Messufer (Pegelmesstelle) scheint, steigt die Temperatur. Das dürfte auch bei Atomkraftwerk Beznau der Grund für die „Lastreduktion am späten Abend“ sein. Wenn das so stimmt, dann ist es nicht der „imaginäre“ Grenzwert von 32 Grad, sondern der Wert von 25 Grad in der Gewässerschutzverordnung, der die „Lastreduktion“ erzwingt.

Fazit: Die Axpo (und deren Hauptaktionäre Zürich und Aargau) kommunizieren und desinformieren weiter wie gewohnt. Möglichst lange den Atommeiler auf Vollast nutzen, auswinden, bis es wirklich nicht mehr geht. Nachher geht die Desinformation über den angehäuften Atommüll und dessen „Entsorgung“ im gewohnten Rahmen weiter. Dann einfach unter dem Namen „Nationale Genossenschaft zur Lagerung radioaktiver Abfälle“ Nagra. Mitbesitzerin der Nagra: Die Axpo.

 

 Wundersommer 2018, Halo-Effekt um die Sonne.
 
Wundersommer 2018, Halo-Effekt um die Sonne.
 
 

 

Der Schweizer Atommüll in einer Republik ohne Bananen:

Der verunglückte Vergleich des ENSI-Direktors

Die Aussagen auf den gezeigten Folien sind eindeutig: „Der Rhein könnte diese 2730 Tonnen Uran (die gemäss Nagra NTB 14-04 im Tiefenlager eingelagert werden sollen) in weniger als 7 Jahren in Trinkwasserqualität wegschwemmen“. Sie lesen richtig: Es geht um den Atommüll, den die Verursacher (vor allem Atomkraftwerke im Besitz der öffentlichen Hand) gemäss Kernenergiegesetz „sicher entsorgen“ müssen. Wieso verheddern sich die Nagra und der Bundesrat denn in unsäglichen Bemühungen und Verfahren (genannt Sachplan), wenn der Rhein doch die Schweiz in wenigen Jahren vom ganzen strahlenden Müll befreien könnte? Und erst noch in „Trinkwasserqualität“. Wenn da nur der Konjunktiv nicht wäre.

Text und Vortrag stammen nicht von einem Kabarettisten, sondern von Herrn Dr. Hans Wanner, seines Zeichens Direktor des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI (www.ensi.ch). Gehalten wurde der Vortrag am 31. Mai 2018 an der Generalversammlung des FormVERA (www.forumvera.info). Die Folien sind unter https://forumvera.info/cvfs/4816892/web/2013.forumvera.info/media/aktivitaeten/gv/gv_2018/2018_05_31_ForumVera.pdf zu finden. Interessant sind die Folien 24-26. Selbst als „Gedankenspiele“ sind die Vergleiche völlig hirnrissig. Jedermann weiss doch: Atomkraftwerke funktionieren doch nicht mit Natururan, wie es in kleinen Mengen in Gesteinen vorkommen kann. Sie brauchen angereichertes Uran, das aus dem Ausland bezogen werden muss. Und sie produzieren gefährlichen und langlebigen Atommüll, dessen Inhalt weder mit dem Natururan noch mit dem angereicherten Uran etwas zu tun hat. Weil er für Mensch und Umwelt so gefährlich ist, versuchen ihn die Verantwortlichen „dauerhaft“ von der Erdoberfläche zu verbannen. Angesichts des Vortrags bleibt einem die Sprache weg. Ist es den Teilnehmern wohl auch so gegangen, oder: Hat sich an der Versammlung wohl jemand zu den Aussagen geäussert? Nach allem, was ich mir zusammenreimen kann, erachte ich das als unwahrscheinlich. War es einfach ein Witz?

Das ENSI ist angeblich eine unabhängige Behörde. Sie überprüft im Auftrag des Bundesrats alle relevanten Risiken bei der Verwendung von Atomkraft und der „Entsorgung“ des Atommülls. Das ENSI hat quasi das letzte Wort: Politiker, Verwaltung und die Nagra sind abhängig von der Beurteilung durch diese Stelle. Sie hat das Wissen der „Experten“. Alle verstecken sich gerne hinter dem, was das ENSI gesagt hat. Die Nagra (www.nagra.ch) ist auf das Wohlwollen des ENSI angewiesen.

Der Verein ForumVera ist ein Gefäss, wo die Nagra den erwünschten Mix zwischen den Interessen der Atommüllproduzenten, den Politikern, den Amtsstellen und den bezahlten Experten herstellen kann. Das ForumVera wird von der Nagra jährlich mit rund 200‘000 Franken „unterstützt“. Der Slogan „Wir übernehmen Verantwortung“ wird dem Verein, der finanzierten Task Force der Nagra, so leicht gemacht. Eingeladene Gäste, Lokal-, Kantons- und Bundespolitiker treffen sich gerne an den geselligen Anlässen. An diesen Anlässen und auf der Homepage werden sie auf eine seriös wirkende, einleuchtende Art auf ihre politische Aufgabe „vorbereitet“. Dank den Inputs, den Netzwerken und ihrer Toleranz zum Schweigen können sie dann (beispielsweise) ihre „Verantwortung“ in den „handverlesenen“ Regionalkonferenzen „wahrnehmen“. Die Regionalkonferenzen haben natürlich gar nichts mit der Nagra zu tun (wird die Nagra behaupten). Sie sind Teil des „Sachplanverfahrens“ und werden vom Bundesamt für Energie BFE geleitet. Es sind aber halt wieder die gleichen Personen, die vom ForumVera (Nagra) umworben und vom BFE in der Regionalkonferenz bezahlt werden.

In diesem Umfeld kann man es sich als Politiker wohl sein lassen. Der Vergleich, dass der Rhein das Problem auch lösen könnte, bietet sicher Anregung für Stammtischgespräche. Die Richtig- und Wichtigkeit der Aussage ist durch den Chef des ENSI zweifellos genügend untermauert. Für mich ist klar: Herr Dr. Hans Wanner hat sich als Direktor des ENSI völlig unglaubwürdig gemacht. Die Nagra fördert mit ihren Geldern einen politisch motivierten Verein, wie ich ihn mir in einer Republik ohne Bananen vorstelle.

Beim ForumVera, der Task Force der Nagra, lohnt es sich, genauer hinzuschauen.

Bildlegende:
ENSI Direktor im Vortrag 2018: Der Rhein könnte das Uran, das die Nagra in Schweizer Tiefenlager entsorgen will, in 7 Jahren wegschwemmen. Sogar die Grenzwerte für Trinkwasser wären eingehalten. Rhein bei Gambsheim, Mündung der Kinzig.

 

 

Vernehmlassung zur Teilrevision der Kernenergieverordnung, zur Teilrevision der Kernenergiehaftpflichtverordnung und zur Teilrevision der Ausserbetriebnahmeverordnung sowie der Gefährdungsverordnung

An das Bundesamt für Energie, Sektion Kernenergierecht

Wir bitten Sie, auf die vorgesehene Erhöhung des Grenzwertes für die zulässige Strahlendosis zu verzichten.
Das Schlagwort „Sicherheit“ ist in aller Munde. Sicherheit für Bevölkerung und Umwelt ist auch in den entsprechenden Rechtsgrundlagen formuliert. Die Beurteilung, was sicher ist, richtet sich in der Regel nach den definierten Grenzwerten. Die Erhöhung des Grenzwertes weit über das natürliche Vorkommen radioaktiver Strahlung hinaus

  • gefährdet Bevölkerung und Umwelt, weil es keine unschädliche Dosis gibt;
  • macht die Atomanlagen nicht sicherer, sondern unsicherer;
  • untergräbt die politische Glaubwürdigkeit der Verantwortlichen bezüglich Sicherheit.

Eine Anlage ist entweder sicher, dann muss der Grenzwert nicht erhöht werden, oder sie ist unsicher, dann erhöht die Politik den Grenzwert. Man merkt die Absicht und wird verstimmt.

>>> Beispiel einer Stellungnahme

 


 

Endlagerung radioaktiver Abfälle in Mitteleuropa


Kriterien für Schutzziele und Sicherheit?

 

Wer aktuelle, konkrete und verständliche Schutzziele oder Sicherheitsanforderungen für ein Endlager von radioaktiven Abfällen sucht, der sucht vergeblich. Man muss sich mit früheren Aussagen behelfen:

Die Eidgenössische Kommission für die Sicherheit der Kernanlagen HKS/SKA (neu seit 2007 Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit KNS) 1993 schrieb im Bericht „Schutzziele für die Endlagerung radioaktiver Abfälle“, Seite 4: „Erst nachdem sämtliche im Abfall enthaltenen Radionuklide zerfallen sind, könnte rückwirkend der Nachweis erbracht werden, dass keine unzulässigen Auswirkungen aus dem Endlager entstanden sind“.

  >>> Dokument ansehen (pdf)

 

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Deutschland) schrieb im Bericht „Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle“ 2010:

  • Für eine Million Jahre muss gezeigt werden, dass allenfalls sehr geringe Schadstoffmengen aus dem Endlager freigesetzt werden können. Hierzu muss die Integrität des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs nachgewiesen und das vom Endlager ausgehende Risiko bewertet und dargestellt werden.

  • Die Sicherheit des Endlagers muss von der Planung bis zum Verschluss des Endlagers einem kontinuierlichen Optimierungsprozess mit periodischen Sicherheitsüberprüfungen unterworfen werden.

  • Es muss ein Mehrbarrierensystem realisiert werden, das den im kerntechnischen Bereich üblichen Prinzipien der Redundanz (doppelte Sicherheitssysteme) und Diversität (unabhängige Wirkmechanismen) folgt.

  • Es muss ein Kontroll- und Beweissicherungsprogramm auch nach Stilllegung des Endlagers durchgeführt werden.

  • Während der Betriebszeit des Endlagers muss die Rückholbarkeit der radioaktiven Abfälle möglich sein. Im Notfall müssen die Behälter auch 500 Jahre nach Verschluss des Endlagers geborgen werden können.

  • Konkrete Standortauswahl- und Erkundungskriterien werden nicht festgelegt.

 www.bmub.bund.de/P328/

>>> Dokument ansehen (pdf)

 


 

 

Atomkraft und radioaktive Abfälle in der Schweiz

 

Eine persönliche Geschichte in 4 Phasen

 

Wer die Geschichte nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen. Ich habe in meinem Leben die ersten 3 Phasen der Atomkraft in der Schweiz miterlebt. Dabei muss man wissen: Ein Teil der Erkenntnisse und die Sachzwänge, die zu Entscheiden führten, werden oft erst im Nachhinein erkennbar.

Die Geschichte lässt sich in 4 Phasen gliedern. Weitere Informationen zu den Stichworten finden sich im Internet:

  1. Die Begeisterung für die militärische und zivile Nutzung der unerschöpflichen Kraft der Atome begann nach dem 2. Weltkrieg und endete definitiv mit dem Unfall im Atomkraftwerk von Tschernobyl 1986.

  2. Die Ernüchterung begann mit der Gründung der NAGRA (1972), der erfolglosen Suche nach einer „Entsorgung“ der radioaktiven Abfälle. Sie dauerte bis zur politischen Niederlage (Volksabstimmung 2002) am Wellenberg in Nidwalden NW. Das angepasste Kernenergiegesetz vom 21. März 2003 entmachtet die Kantone und die NAGRA: Es gibt alle Kompetenzen für Entscheide in Sachen Atom und radioaktive Abfälle den Bundesbehörden. Das hört sich verständlich und klar an. Leider vollzieht sich so ein Gesetz im Dschungel aller Rechtserlasse und Traditionen nicht von alleine.

  3. Die Verwedelung, der Tanz um die radioaktiven Abfälle und das Spielen auf Zeit begannen so richtig mit dem „Sachplan geologische Tiefenlager“ 2007. Der Bundesrat und das Departement UVEK unter Bundesrat Moritz Leuenberger ZH nutzten ihre Kompetenzen, um die Fokussierung der NAGRA auf ein Tiefenlager im Züricher Weinland zu brechen. Zürich will dort kein Lager für Atommüll. Im „Sachplanverfahren“ wurden „alte“ Standorte wieder in die Suche mit einbezogen. Heute stehen die Bundesbehörden in der Verfahrensetappe 2 zum Sachplan. Das Bundesamt für Energie BFE führt vor deren Abschluss eine öffentliche Vernehmlassung (November 2017 bis 9. März 2018) mit 128 Fragen durch. Ein Ende der Planung ist weder zeitlich, noch inhaltlich oder finanziell absehbar. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen und der publizierten Zeitpläne, die weit ins nächste Jahrhundert reichen, werden die heutigen Entscheidungsträger die „Einlagerung radioaktiver Abfälle in ein Tiefenlager“ nicht mehr als aktive Politiker erleben.

  4. Zukunft: Risiken, Kosten und der Zwang zu internationaler Zusammenarbeit. Was mit radioaktiven Abfällen alles passieren kann, ist reine Spekulation: „Erst nachdem sämtliche im Abfall enthaltenen Radionuklide zerfallen sind, könnte rückwirkend der Nachweis erbracht werden, dass keine unzulässigen Auswirkungen aus dem Endlager entstanden sind“. Das schrieb die Eidgenössische Kommission für die Sicherheit der Kernanlagen HKS/SKA (neu seit 2007 Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit KNS) 1993 im Bericht „Schutzziele für die Endlagerung radioaktiver Abfälle“, Seite 4. Bis zum vollständigen Abklingen der Strahlung ist mit einer Dauer von 1 Million Jahre zu rechnen. Die radioaktiven Abfälle lagern bereits im Zwischenlager in Würenlingen oder bei den Atomkraftwerken.

 Die bisher durchlebten Phasen 1 bis 3 brachten der Gesellschaft wohlstandsmässig praktisch nur Gewinner. Die Auswirkungen der radioaktiven Abfälle blieben bisher unter den gesellschaftlich akzeptierten „Grenzwerten“.

 Die verschiedenen Phasen sind nicht durch genaue Daten getrennt. Ereignisse, politische Absichten, Sachzwänge und Fakten erzwangen die Abkehr von früheren Ansichten und die Kreation neuer „Aktivitäten“. Es gibt keinen Anlass, zu glauben, das wäre in Phase 4 anders.


 Begeisterung für die militärische und zivile Nutzung

 Die Phase der Begeisterung begann (wie so Vieles) nach dem 2. Weltkrieg. Die Armee stand noch perfekt im Einklang mit Bevölkerung, Politik, Wirtschaft und hatte einen gerüsteten Gegner aus dem Osten. Sie unternahm konkrete Anstrengungen, selber Atomwaffen zu besitzen. Auf verschlungenen Kanälen des Kalten Krieges beschaffte sich die Eidgenossenschaft 1952 bis 1955 Uran (u.a. aus dem Kongo). In Würenlingen wurde am Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung der Kernreaktor „Diorit“ betrieben (1960 bis 1977). Bis 1977 übten wir in Rekrutenschulen und Wiederholungskursen das Verhalten im Atomkrieg: „Entseuchung“ von verstrahltem Material durch Abspritzen, Einsatz eigener Atomgranaten durch Artillerie und 8.1 cm Minenwerfer. Letztere stammten aus den Jahr 1933 und hatten eine Reichweite von weniger als 4 km. In Manövern waren die rot markierten Geschütze gut behütete und gefürchtete Waffen gegen massierte Panzeransammlungen der vereinten Ostarmeen. Mit dem schnellen Mirage Düsenjäger hoffte man auf die Möglichkeit, eine eigene Atombombe nach Moskau tragen zu können.

 Der Glaube an die unerschöpfliche Kraft der Atome war ziemlich ungetrübt: Atomkraftwerke sollten den weiteren Ausbau der Wasserkraft überflüssig machen, die Natur schonen und das wirtschaftliche Wachstum der Schweiz ermöglichen. An den Hochschulen wusste man sehr wohl über die Gefahren der atomaren Strahlung Bescheid. Radioaktive Strahlen nutzte (und nutzt) man bewusst für wissenschaftliche Experimente in der Forschung (z.B. Genetik) und in der Medizin (Bestrahlung). Während des Studiums der Zoologie an der Universität Zürich (1969 bis 1975) lernte ich: Es gibt biologisch keine unschädliche Strahlendosis. Bei einer geringen Strahlenmenge ist einfach die Wahrscheinlichkeit für einen Treffer und eine Veränderung des Erbgutes geringer. Die Möglichkeit, dass eine Veränderung positive Eigenschaften für Leben und Gesundheit hat, ist etwa so gross, wie wenn ein Gedicht durch einen Druckfehler verbessert würde.

 Das 1. Atomkraftwerk der Schweiz, Beznau 1, ging 1969 ans Stromnetz. Seit 2015 steht die Stromproduktion im ältesten Atomkraftwerk der Schweiz wegen Mängeln (unfreiwillig) still. Betriebs- und Unterhaltskosten laufen weiter. Ob die Anlage nochmals Strom produziert, ist ungewiss und eher fraglich: Auch Atomkraftwerke altern und veralten. Schauen Sie sich einmal einen frühen James Bond Film an (diese stammen aus der gleichen Zeit in der Beznau 1 gebaut wurde) oder stellen Sie sich vor, wie die Autos 1969 ausgesehen haben und ausgerüstet waren. Dann wissen Sie, was ich mit „veraltet“ meine.

 

Ernüchterung

 >Das Militär musste wegen des Atomsperrvertrags (Ratifizierung 1977) von eigenen Atomwaffen Abschied nehmen. Schliesslich konnte man es sich nicht leisten, dem Abkommen nicht beizutreten und als „Schurkenstaat“ auf einer Liste (wie heute der Iran oder Nordkorea) zu erscheinen. Das gelagerte waffenfähige Material der Schweiz wurde 2016 an die USA „verkauft“. Ausgerechnet an die USA, die einzige Macht der Welt, die Atomwaffen bisher in einem Krieg eingesetzt hat. Die USA haben viel zur weltweiten Verseuchung der Erde mit radioaktivem Abfall beigetragen. Sie „lagern“ unendliche Mengen von Atommüll „unentsorgt“, ohne Tiefenlager und ohne Idee für eine „Lösung“.

Bis 1982 wurde Schweizer Atommüll in Fässern im Atlantik versenkt. Wiederum waren es internationale Abkommen, die diese „Praxis“ unmöglich machte. Danach blieb die Schweiz auf ihren radioaktiven Abfällen sitzen.

 1972 gründeten „alle Produzenten radioaktiver Abfälle“ (www.nagra.ch) die „Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle“ NAGRA. Zur Genossenschaft gehören:

 

  • Schweizerische Eidgenossenschaft, Bern

  • BKW FMB Energie AG, Bern

  • Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG, Däniken

  • Kernkraftwerk Leibstadt AG, Leibstadt

  • Axpo AG, Baden

  • Alpiq AG, Olten.

  • Zwilag Zwischenlager Würenlingen AG.

 

Interessant ist: Bei allen Kernkraftwerken und Stromproduzenten haben Bund und einzelne Kantone die Aktienmehrheit und damit das Sagen. Die Produzenten sind nicht einfach die bösen „Energiekonzerne“, sondern Bewilligungsbehörden und Besitzer/Betreiber in Personalunion.

Die Hoffnungen, dass die „Wiederaufbereitungsanlagen“ in Frankreich und England aus dem atomaren Abfall der Kernkraftwerke verwertbare Stoffe und „harmlose“ Materialien herstellen könnten, zerschlugen sich. In den Anlagen selber (Sellafield GB, La Hague F) fanden und finden erhebliche Verseuchungen von Meer und Region mit Radioaktivität statt. Die Betreiber machten Klauseln (das Kleingedruckte) in den abgeschlossenen Verträgen geltend und schickten alle radioaktiven Abfälle in die Schweiz (Zwilag Würenlingen) zurück. Die Rückkehr in die Schweiz wurde bis 2017 (die letzten Transporte aus den Aufbereitungsanlagen) in der Presse als positive Meldung publiziert.

Ungemach erfuhren der Ruf und das Ansehen der Atomkraftwerke durch die Dramatik spektakulärer Unfälle. Radioaktivität von Tschernobyl (1986) verseuchte Lebensmittel in ganz Europa. Pilze und Wildschweine, die Pilze fressen, sind regional heute noch wegen ihrer radioaktiven Verstrahlung „nicht für den menschlichen Verzehr“ geeignet.

1988 beerdigte das eidgenössische Parlament, nach jahrelangem Widerstand auf dem Baugelände, das Vorhaben für ein neues Atomkraftwerk in Kaiseraugst AG. Es waren Wirtschaftsvertreter, u.a. der heutige Milliardär Christoph Blocher, die erkannten: Mit Atomkraftwerken lässt sich kein Geld mehr verdienen. Konkrete Projekte für neue Atomkraftwerke gibt es seit damals in der Schweiz nicht mehr. Damit ist auch der zeitliche Druck für eine machbare Lösung der „Entsorgung“ des radioaktiven Abfalls weg. Eine Bewilligung für ein neues Atomkraftwerk wäre mit Sicherheit erst erteilt worden, wenn die Frage der „Entsorgung“ gelöst worden wäre. Die „Sorgen“ bleiben der Schweiz offensichtlich noch lange erhalten. Der von den Bundesbehörden heute ins Auge gefasste Zeitplan reicht weit ins nächste Jahrhundert. Schon die „Daten“ für den Beginn der „Endlagerung“ (2050, 2060) liegen so weit in der Zukunft, dass Verantwortliche für heutige Entscheide sicher nicht mehr für allfällige Fehler geradestehen müssen. Der Vertrag für den Betrieb des Zwischenlagers ZWILAG mit der Gemeinde Würenlingen wurde 2017 bis ins Jahr 2049 verlängert. Die Gemeinde freut sich über die jährlichen Beiträge in Millionenhöhe und alle sind zufrieden.

Der Verzicht auf neue (und mit Sicherheit modernere) Atomkraftwerke wurde vom Bund den Betreibern mit der Entscheidung versüsst, die bestehenden Kraftwerke möglichst lange weiterlaufen zu lassen: Unbefristete Betriebsbewilligungen mit laufenden Nachrüstungen, Sicherheitskontrollen bis die Unterhaltskosten und die Pannen eine Abschaltung unumgänglich machen. Womit wir wieder bei Beznau 1 wären.

Die Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 zeigte, wie sich eine Verkettung unglücklicher Umstände auswirken kann und wie unwahrscheinliche Ereignisse Sicherheitsüberlegungen und Sicherheitsbeteuerungen zu Makulatur verkommen lassen können. Das Unglück bewirkte nicht nur eine grosse Umweltverseuchung (vor allem im Meer), sondern es brachte in Deutschland das Fass mit den Kritiken zur Atomkraft zum Überlaufen: Ausstieg aus der Atomenergie, rein in die Energiewende. Dass man (regional) das Kind mit dem Bade ausschüttet, ändert an der Gefährlichkeit der (bestehenden) Atomkraftwerke und am vorhandenen atomaren Abfall gar nichts.

In den letzten Jahren sorgte der europäische Preiszerfall beim Strom für riesige finanzielle Probleme bei den Atomkraftwerken, den Stromhandelsgesellschaften und den Wasserkraftwerken. Wie die Betreiber der Atomkraftwerke die ständig wachsenden „Entsorgungskosten“ einmal aufbringen sollen, ist mehr als schleierhaft. Absehbar ist: Die Steuerzahler werden über den Strompreis und über die Steuern für alle Risiken und Aufwendungen zur Kasse gebeten werden.

Am meisten Niederlagen und Ernüchterungen erlebte aber ohne Zweifel die NAGRA. Seit 1972 blähte sie ihren Experten- und Kommunikationsapparat stark auf. Feste Arbeitsplätze und Aufträge an Geologen generierten zahlreiche neue Erkenntnisse über die Geologie der Schweiz (z.B. Geologische Karten, Bohrungen) und setzten neu Massstäbe in der Propaganda. Leider ist die NAGRA trotz mehr als 1.5 Milliarden Franken Ausgaben von einer realisierbaren „Lösung“ weiter entfernt als je:

  1. Das Granitgestein erwies sich als unbrauchbar (Wasser, zu tiefe Lage unter der Oberfläche im Mittelland, unstabile Formation in den Alpen). Die Bohrung in Riniken (1983) erreichte den Granit nicht. Eine in Hornussen vorgesehene Bohrung wurde gar nicht mehr ausgeführt.
  2. Das Debakel (negative Volksabstimmungen) am „Tiefenlager“ Wellenberg offenbarte die ganze politische Willkür. Nicht alle „Lokalgrössen“ wurden gleich behandelt: Wer sich für das Lager einsetzte profitierte mehr, wer dagegen war, wurde geächtet. Das Nidwaldner Volk bewahrte die Schweiz vor einem mutmasslichen Debakel bei der Einlagerung von radioaktiven Abfällen in den Alpen. Dafür handelte sich die Schweiz das neue Kernenergiegesetz ein, das den Kantonen (theoretisch) alle Kompetenzen wegnimmt und dem Bund (BFE) übergibt. Bund und Parlament wollten nicht wieder, dass Kantone per Volksabstimmung Bewilligungen für Atommüll-Endlager verunmöglichen können.
  3. Das Umschwenken vom „Wirtsgestein“ Granit auf den Opalinuston war eine kommunikative Herausforderung. Der Opalinuston wurde früher als „zu schwieriger Baugrund“ taxiert, was er allerdings heute noch ist. Die Schichtmächtigkeiten sind zudem in der Schweiz relativ gering (z.B. verglichen mit Schichten im nördlichen Teil Mitteleuropas). Mögliche geologisch „ungestörte“ Lagerstätten, die nicht von Brüchen, Verschiebungen, Hebungen, Senkungen durchzogen sind und die eine „günstige“ Tiefenlage haben (ca. 500 m unter Terrain) sind in der Schweiz nicht häufig. Aufgrund der vorhandenen Kenntnisse wurde das Zürcher Weinland (Benken ZH) von der NAGRA neu als der beste und sicherste Standort für ein geologisches Tiefenlager erkoren. Die Bohrung in Benken (1998/1999) erbrachte keine Zweifel am Vorhaben. Dieses Ergebnis aber passte dem Kanton Zürich nicht.

Die NAGRA, die Vereinigung der Produzenten radioaktiver Abfälle, muss ihre Aktivitäten laufend an „Erkenntnisse“, wirtschaftliche und politische Gegebenheiten anpassen. Mit jedem „Entwicklungsschritt“ und jedem „Schwenker“ verschieben sich ihre kommunizierten Zeitpläne nach hinten. Früheren Verlautbarungen zu Folge, wäre jetzt die Einlagerung von Atommüll in ein Tiefenlager schon im Gange: Je länger die NAGRA arbeitet, desto weiter in die Ferne verschiebt sich der neue Lagerbeginn und desto teurer werden die prognostizierten Kosten.

 Mit der Übernahme aller Kompetenzen durch den Bund hat die NAGRA ihre Eigenständigkeit im Handeln verloren. Bei der Fülle aller Rechtsnormen, der bisherigen Bewilligungen, der politischen Entscheidungen und der Verflechtungen von Politikern, Föderalismus und Wirtschaft ist es den Bundesbehörden (UVEK, Bundesamt für Energie) gar nicht möglich alle Konsequenzen neuer Entscheide zu erkennen und klare Verfahrensabläufe zu definieren. Das Bundesamt für Energie ist nicht zu beneiden. Ich habe sogar ein gewisses Verständnis für die Überforderung. Kein Verständnis habe ich dafür, wenn man versucht, mit einem babylonischen Gewirr von Gremien, Experten, Berichten und Kommunikation die eigentliche Aufgabe zu verschleiern:

Die „Pflicht zur Entsorgung“ ist in Art. 31 des Kernenergiegesetzes vom 21. März 2001 eindeutig geregelt:

1 Wer eine Kernanlage betreibt oder stilllegt, ist verpflichtet, die aus der Anlage stammenden radioaktiven Abfälle auf eigene Kosten sicher zu entsorgen. Zur Entsorgungspflicht gehören auch die notwendigen Vorbereitungsarbeiten wie Forschung und erdwissenschaftliche Untersuchungen sowie die rechtzeitige Bereitstellung eines geologischen Tiefenlagers.

2 Die Entsorgungspflicht ist erfüllt, wenn:

 a. die Abfälle in ein geologisches Tiefenlager verbracht worden sind und die finanziellen Mittel für die Beobachtungsphase und den allfälligen Verschluss sichergestellt sind;

 b. die Abfälle in eine ausländische Entsorgungsanlage verbracht worden sind.

 

 In der Realität zählen nur die Resultate. Dass heute weder belastbare Resultate, noch klare Kriterien für die Sicherheit und definierte Verfahren vorliegen, passt zur Phase der Ernüchterung.

 

Verwedelung

1996 zügelten meine Frau und ich nach Oberzeihen. Natürlich wussten wir, wo die Atomkraftwerke stehen, wo sich das ZWILAG befindet und dass es die NAGRA gibt. Ich hätte mir aber nicht vorstellen können, dass wir 2017 gegen ein lausiges Bohrgesuch der NAGRA (Sondierbohrung Eichwald, Zeihen) mit einer persönlichen Einsprache in ein Verfahren mit dem Bundesamt für Energie eintreten würden. Doch ich greife vor: Die Bohrung wird erst in Etappe 3 des Sachplanverfahrens durchgeführt – wenn überhaupt.

Mit dem Sachplan geologische Tiefenlager wird das Verfahren bezeichnet, mit dem der damalige Bundesrat Moritz Leuenberger im Jahre 2008 verhindern konnte, dass die NAGRA ihre vorgesehenen Untersuchungen für ein unterirdisches Atommüll-Endlager nur im Zürcher Weinland weiterführte. Zürich will das geologische Tiefenlager nicht, obwohl der Kanton zu den Verursachern von Atommüll gehört und damit auch für die „Entsorgung“ mitverantwortlich ist. Verhindern und verbieten der Untersuchungen im Zürcher Weinland war dem Kanton rechtlich nicht möglich, weil der Bund zuständig ist. Also brauchte es den Sachplan, mit dem die „Suche“ auf weitere Gebiete (z.B. den Bözberg) ausgedehnt werden mussten.

In der Etappe 1 wurde papierreich erarbeitet und propagandistisch erläutert, welche 6 Regionen für eine geologische Tiefenlagerung des Atommülls „in Frage kämen“. Damit die „beauftrage“ NAGRA dem zuständigen BFE überhaupt 6 Regionen präsentieren konnte, wurden der abgelehnte Ladenhüter „Wellenberg“ und „Manipulierregionen“ im dicht besiedelten Mittelland oder hart an der Grenze zu Deutschland aktiviert. Eine beachtliche Maschinerie aus Experten, Organisationen, Gremien und Kommunikatoren (Propaganda) wurden aufgezogen. Schon 2011 habe ich über den „Frischen Wind auf dem Bözberg“ und die neue lokale Regionalkonferenz geschrieben (http://www.textatelier.com/index.php?id=996&blognr=3759). Auch 7 Jahre später würde ich am Text nichts ändern.

In der Etappe 2 ging es nach dem abgekürzten Nünistein-Verfahren (http://www.textatelier.com/index.php?id=996&blognr=5421) darum, den in Etappe 1 aufgeblähten Kreis der möglichen Standorte wieder einzugrenzen. In einem abgekürzten Verfahren propagierte die NAGRA 2 Gebiete, die zufälligerweise gut den Absichten von Herrn alt Bundesrat Leuenberger abdeckten: Weinland (inzwischen als Zürich Nord-Ost bezeichnet) als am besten geeignet (NAGRA früher) und den Bözberg (inzwischen als Jura-Ost bezeichnet) als politisch favorisiert und am nächsten beim zwischengelagerten Atommüll im Kanton Aargau liegend. Man merkt die Absicht und wird verstimmt. Damit die Sache nicht allzu durchsichtig war, das Verfahren nicht allzu rasch beendet würde und möglichst viele Gremien ihre Fingerübungen machen können, haben das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI und die Kantone ZH mit dem kleineren Bruder AG verlangt, dass 3 Standorte weiterbearbeitet werden müssen. Die NAGRA hat etwas an der Oberfläche geschüttelt (Seismik), die Regionalkonferenzen haben getagt und Berichte verfasst, die Opposition wurde eingebunden und eigentlich läuft (bezüglich Verwedelung der Aufgabe und dem Spielen auf Zeit) alles bestens. Viele profitierten, niemand erleidet Schaden, die laufenden Kosten sind überschaubar und alle sind aktiv. Nach Ansicht der NAGRA beneidet uns das Ausland (wer immer das sein mag) um das Verfahren. Nicht etwa um die Lösung, sondern um das Verfahren.

 Nach sehr vielen Untersuchungen, Abklärungen, Berichten, Regionalkonferenzen und Propaganda liegen jetzt am Ende der Etappe 2 die Anträge an den Bundesrat vor: Die weiteren Untersuchungen (z.B. Sondierbohrungen) sollen auf 3 Regionen konzentriert werden.

 Mit jeder weiteren Aktion und Publikation gewöhnen sich die Profiteure ans finanzielle Manna aus Bern, man wird sicherer, kecker und übertrifft sich in Behauptungen: 

  1. NAGRA informiert, Nr. 49, Dezember 2017: „Das stärkste Argument ist, wenn mehrere Leute unabhängig voreinander auf dasselbe Resultat kommen“. Das mit der Unabhängigkeit ist halt so eine Sache: Gibt es in der Schweiz überhaupt noch Geologen, die nicht im Dienste der NAGRA stehen, standen oder gerne wollten? Wer eine abweichende Meinung hat, den straft der Markt.

  2. Das BFE informiert über das Auswahlverfahren für geologische Tiefenlager, November 2017, Nr. 12: „Mich hat das grosse Engagement der Mitglieder der Regionalkonferenzen beeindruckt“ schreibt der „Leiter Regionale Partizipation“. Logisch. Die Regionalkonferenzen (Mitglieder) wurden willkürlich ausgewählt, bezahlt vom BFE, bemuttert von Experten und Moderatoren, zum öffentlichen Schweigen verpflichtet und jetzt werden sie noch öffentlich gelobt. Ist das nicht ein kommunikativer Overkill? Ist so etwas noch glaubwürdige Mitwirkung oder schon Indoktrinierung?

 

 Das BFE inszeniert zu den „Ergebnisberichten zu Etappe 2“ eine Vernehmlassung zum Sachplan geologische Tiefenlager durch. Verpassen Sie die Eingabefrist 9. März 2018 nicht.

 (http://www.bfe.admin.ch/vernehmlassungetappe2).

 

 In der lokalen Bevölkerung durchschaut schon lange niemand mehr, wer in diesem Theater was zu sagen, zu verantworten und zu entscheiden hat. Es ist logisch, dass die mandatierte „Regionalkonferenz“ auch weiterhin vom Geld aus Bern profitieren will. Dazu passt, dass die Regionalkonferenz ihren Mitglieder und den Gemeinden Jura Ost eine „Muster-Stellungnahme“ mit vorformulierten „Antworten“ in ihrem Sinne zugestellt hat. Damit wird sichtbar, wie von der zuständigen Bundesbehörde (BFE) mandatierte „Partizipationsgremien“ in politische Entscheidungsprozesse eingebaut werden: Wenn die Gemeinden der Region Bözberg in Sachen Atommüll Tiefenlager eine eigenständige und selbstbewusste Haltung einnehmen wollen, dann dürfen sie nicht einfach dem domestizierten Verein „Regionalkonferenz Jura Ost“ die Führung überlassen, auch wenn das kollektive Mitschwimmen im „Sachplanverfahren“ natürlich am einfachsten ist. 

Nutzen Sie die Möglichkeit, jede Stimme aus der Region Bözberg (Jura Ost) zählt: Machen sie bei der Vernehmlassung mit: Das Muster von www.g20.ch herunterladen, Namen einfügen, Antworten übernehmen oder verändern, abschicken.

Wenn jede der nachfolgenden „Planungs-Etappen“ sich durch die gleiche Mehrung der Papiermenge (wie bisher) auszeichnet, dann wird sich das „Verfahren“ in den nächsten 30 Jahren von alleine totlaufen. Niemand kann so viel lesen und begreifen.

 

Zukunft: Risiken, Kosten und der Zwang zu internationaler Zusammenarbeit

Das grenzenlose Wachstum zur Erhaltung und zur Mehrung des Wohlstandes wird weiterhin die höchsten Anstrengungen rechtfertigen. Es scheint, dass diese Doktrin die einzige und entscheidende Maxime für politisches Handeln bleiben wird. Koste es, was es wolle.

Die Nachteile und die Risiken der Wachstumsstrategie werden von der Gesellschaft trotz Nachhaltigkeit, Energiewende, Bio, aus der Region, Klimaabkommen und technischem Fortschritt nicht dauerhaft negiert werden können. Jemand sollte einmal den Fokus auf die Packungsbeilage legen.

Die Kosten für den technischen Fortschritt (z.B. in der Medizin) steigen. Es ist fraglich, ob wir in der Schweiz mit Dienstleistungen und Banken diese Kosten dauerhaft aufbringen können.

Unerwartete Ereignisse (z.B. ein Blackout in der Energieversorgung) und internationale Verpflichtungen werden politische Entscheide erzwingen, von denen wir heute noch nichts ahnen. Atommüll kann nicht entsorgt, sondern nur gelagert werden. Die Sorgen bleiben bis er von selbst zerfallen ist.

Bezüglich der atomaren Abfälle in Würenlingen soll doch niemand glauben, dass die Anliegerstaaten am Rhein je ein „geologisches Tiefenlager“ in den dünnen Schichten des Opalinustons der Schweiz akzeptieren werden. Das Risiko (= Produkt aus einem potentiellen Gesundheitsschaden und der Häufigkeit, mit der dieser Schaden eintritt, Bericht HKS/SKA, 1993) für das dicht besiedelte und wachsende Mitteleuropa ist viel zu hoch.

Die Schweiz wird eine Lösung/Lagerung im Ausland (stabile geologische Schichten, dünne Besiedelung) zusammen mit andern Staaten suchen müssen. Warum macht sie das nicht heute schon? Weil sie damit die Milliarden der „Entsorgungskosten“ nicht in eigene Arbeitsplätze, Verfahren und Bilanzen investieren kann. Dafür wäre die Sicherheit grösser. Das klassische Dilemma mit Atom: Die Vorteile nehme ich gerne.

 

Heiner Keller

Zeihen, 3. Januar 2018

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